Georg Hoffmann-Ostenhof: Lula da Capo!
Anfang der 1980er-Jahre reiste Luiz Inácio Lula da Silva nach Wien, um an einer Konferenz teilzunehmen. Lula, wie der brasilianische Metallarbeiter und bekannte Gewerkschafter genannt wird, hatte gerade gemeinsam mit progressiven Intellektuellen aus marxistischen Gruppierungen, ehemaligen Guerilla-Kämpfern, gewerkschaftlichen Aktivisten und katholischen Basisgruppen eine kleine linke Partei zusammengezimmert. Der nicht sehr große, stämmige Lateinamerikaner mit Vollbart machte mit seinem ruhigen und bestimmten Auftreten großen Eindruck. Dass er und seine Partido dos Trabalhadores (PT) jemals die Geschicke Brasiliens an vorderster Front bestimmen würden, hätte sich auf der Wiener Konferenz jedoch wohl niemand träumen lassen.
2010 traf Lula in Davos ein. Als brasilianischer Präsident – er war bereits sieben Jahre im Amt – wurde er von den Reichen und Mächtigen der Welt, die einander da im Schweizer Kurort jedes Jahr treffen, als Star gefeiert. Er hatte das 200-Millionen-Einwohner- Land Brasilien von einem der Sorgenkinder der Weltwirtschaft zur Wachstumslokomotive gemacht. Fast 40 Millionen Menschen waren dank seiner Sozialprogramme der Armut entkommen. Klaus Schwab, der Chef des Weltwirtschaftsforums, kürte ihn zum „besten Staatschef der Welt“.
Das traurige Ende einer fulminanten politischen Karriere? Möglich. Sicher ist das aber nicht.
Heute, acht Jahre und eine Wirtschaftskrise später, sitzt Lula im Gefängnis. Im Zuge eines gewaltigen Bestechungsskandals, in welchen die gesamte Politik Brasiliens verstrickt ist, kamen auch seine PT und er selbst ins Visier der Ermittler. Dilma Rousseff, seine Nachfolgerin als Präsidentin, wurde des Amtes enthoben. Lula soll sich – er streitet alles ab – als Gegenleistung für die Vermittlung von Staatsaufträgen von einer Baufirma eine Luxuswohnung mit Meerblick gratis renovieren haben lassen. Dafür bekam der 72-Jährige zwölf Jahre aufgebrummt.
Das traurige Ende einer fulminanten politischen Karriere? Möglich. Sicher ist das aber nicht. Seine Partei hat ihn für die Präsidentenwahl am kommenden 7. Oktober als Kandidaten aufgestellt. Wer als Sieger hervorgeht, bestimmt aber nicht das brasilianische Volk, sondern die oberste Wahlkommission. Sie entscheidet in den kommenden Tagen, ob Lula antreten darf oder nicht. Steht er nach dem Spruch der Kommission – was unwahrscheinlich ist – tatsächlich zur Wahl, ist diese bereits gelaufen. Denn dann heißt der nächste brasilianische Präsident wieder Luiz Inácio Lula da Silva: In allen Umfragen führt er haushoch und uneinholbar. Da mag das brasilianische Wahlvolk von der Wirtschaftskrise zermürbt und angesichts der diebischen Elite politikverdrossen geworden sein – ihrem Lula halten seine Anhänger die Treue. Sollte sein Name nicht auf dem Stimmzettel stehen, ist völlig unklar, wer demnächst Brasilien regieren wird. Dann tun sich sogar höchst gefährliche Perspektiven auf.
Der ehemalige Fallschirmjäger ist dafür bekannt, Schwule, Frauen und Schwarze aufs Wüstete zu beleidigen.
Stärkster nach Lula ist in den Umfragen Jair Bolsonaro, ein rechtsextremer evangelikaler Abgeordneter. Der ehemalige Fallschirmjäger ist dafür bekannt, Schwule, Frauen und Schwarze aufs Wüstete zu beleidigen, für die Militärdiktatur, die Brasilien zwischen 1964 und 1984 regierte, zu schwärmen und ein Freund der Folter zu sein. In den sozialen Netzwerken wird der Mann als Held gefeiert.
Geraldo Alckmin, der Ex-Gouverneur des Bundesstaates São Paulo, ist der Kandidat der Zentrumsparteien und der „Märkte“ – sprich: der Unternehmerschaft. Er wird aber von den Brasilianern als Mann der alten, verhassten und durch und durch korrupten Politikerkaste angesehen. Und sein Charisma hält sich in Grenzen. Über den studierten Anästhesisten und ehemaligen Gouverneur eines Bundesstaates spotten die Leute, er sei ein „picolo de xuxu“ – ein Eis am Stiel aus geschmacklosem Gemüse. Er liegt weit abgeschlagen hinter Bolsonaro.Mit ihm scheinen noch einige andere Politiker der unterschiedlichsten Couleurs auf der Kandidatenliste auf, denen allen gemeinsam ist, dass sie in den Umfragen bloß zwischen vier und sechs Prozent liegen.
Das UN-Menschenrechtskomitee entschied, dass Lula als Kandidat zugelassen werden müsse.
Mit von der Partie ist da auch der libanesisch-stämmige Fernando Haddad. Der ehemalige Bürgermeister von São Paulo spielt im Plan B der Lula-Partei die Hauptrolle. Haddad soll als Ersatz und Alter Ego des in der Zelle sitzenden Ex-Präsidenten durch die Lande ziehen, falls dieser als Kandidat verhindert wird.
Die allgemeine Hoffnung besteht, dass, wer immer auch als Zweiter im ersten Durchgang durchs Ziel geht, in der Stichwahl Bolsonaro schlagen werde. Eine „Allianz der Demokraten“ werde dafür schon sorgen. In dieser unübersichtlichen Lage kann es freilich bei der Hoffnung bleiben. Und so wird auch international Alarm geschlagen: Sollte Lula nicht antreten dürfen, drohe Basilien Chaos oder Diktatur, wird argumentiert.
Das UN-Menschenrechtskomitee entschied, dass Lula als Kandidat zugelassen werden müsse, weil sein Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Bernie Sanders und weitere 29 US-Abgeordnete warnen davor „den Kampf gegen Korruption als Vorwand für die Verfolgung von politischen Gegnern“ zu gebrauchen. Und Jorge G. Castañeda, der ehemalige mexikanische Außenminister, schrieb unter dem Titel „Warum Lula zu kandidieren erlaubt werden sollte“ einen Kommentar in der „New York Times“: „Die Anschuldigungen gegen Lula sind so dünn, das vermeintliche Verbrechen so klein, das Urteil so dreist disproportional, und es geht um so viel, dass in diesem Fall die Demokratie über das Gesetz siegen sollte.“
Das Wort hat die Wahlkommission. Es wird ein folgenschweres sein.