Georg Hoffmann-Ostenhof: Mit Putin reden

Georg Hoffmann-Ostenhof: Mit Putin reden

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In den vergangenen Wochen hat Wladimir Putin wieder einmal die Welt überrascht. Niemand hatte die russische Militärintervention in Syrien erwartet. Auch der Moskau-Besuch des Diktators Baschar al-Assad machte Schlagzeilen. Und es häuften sich die Kommentare, die den Kremlherrn als „strategisches Genie“ rühmten. Putin habe kühn die Initiative ergriffen und Tatsachen vor Ort geschaffen, hieß es.

Bei dieser Einschätzung handle es sich um eine optische Täuschung, schreibt der Stanford-Politologe Michael McFaul in der „New York Times“: Genau das Gegenteil sei wahr, meint der einstige Russland-Berater Barack Obamas und ehemalige US-Botschafter in Moskau.

In der Ukraine-Krise war es ebenso. Wie geschickt Putin doch den Westen ausmanövriert habe, lautete vor zwei Jahren der Tenor der internationalen Medien. Bei näherer Betrachtung aber habe Putin sich auch damals, so McFaul, eher als strategischer Stümper entpuppt: „Er vermag kurzfristig geschickt auf Rückschläge Antworten zu geben, was längerfristige Strategie betrifft, ist er aber untalentiert.“

Moskaus Militärintervention ist weniger ein strategisch durchdachter Akt als eine Verzweiflungstat.

Und in der Tat: Gemessen daran, was Putin ursprünglich mit der Ukraine wollte, ist ihm so ziemlich alles misslungen. Erinnern wir uns: Sie war als zentrales Land in seiner „Gegen-EU“, der Eurasischen Union, geplant. Als die Ukrainer das ablehnten und auf der Straße für den Westen und die EU optierten, sah Putin in ihnen die Marionetten einer CIA-Verschwörung – und ließ Präsident Viktor Janukowitsch, seinen Mann in Kiew, in die Menge schießen. Vergeblich. Janukowitsch musste fliehen. Putin annektierte die Krim und marschierte in der Ostukraine ein. Die Separatisten dort schwärmten von einem „Nowa Rossia“ (Neurussland).

Heute ist klar: Die Ukraine hat Putin für immer verloren. Zwar wurde die Krim russisch. Aber die Annexion der Halbinsel kommt, so wie auch das Abenteuer in der Ostukraine, Moskau teuer zu stehen. Der Versuch, den Westen und besonders Europa in der Frage der Sanktionen zu spalten, ist gescheitert – diese greifen inzwischen wirklich und verschärfen die wirtschaftliche Krise, in der Russland, zum isolierten „Schurkenstaat“ mutiert, steckt. Und von Neurussland ist auch nichts mehr zu hören.

Nicht nur im Falle der Ukraine wollte der ehemalige Geheimdienstler Putin partout nicht verstehen, dass unabhängige Akteure die politische Bühne betreten haben. Der Arabische Frühling von 2011 war in seinen Augen eine einzige große amerikanische Inszenierung: speziell in Syrien, dem einzig verbliebenen Bündnispartner Moskaus in der Region. Aber so wie der Aufstand gegen das Damaszener Regime scheiterte – er verkam zu einem immer wüster werdenden Bürger- und Religionskrieg –, so wenig erfolgreich war Putins Unterstützung für Assad. Auch massive Finanzhilfen und Waffenlieferungen aus Moskau konnten nicht verhindern, dass der Diktator – trotz Bombardements der eigenen Bevölkerung, die bis dato an die 200.000 Menschen das Leben kosteten – die Kontrolle über zwei Drittel des syrischen Territoriums verlor und sein Herrschaftsapparat in Auflösung begriffen ist.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die russische Intervention weniger als strategisch durchdachter Akt denn als Verzweiflungstat dar. Es ist der Versuch Putins, seinen Alliierten in letzter Minute vor dem Untergang zu retten – wobei es Moskau eingestandenermaßen nicht um die Person des Diktators, sondern um das in den Augen des Kremls „legitime Regime“ geht.

Bloß: Das Assad-Regime ist weder legitim noch zu retten. Russische Raketen und Bomben können vielleicht kurzfristig dessen drohenden Kollaps ein wenig hinauszögern (und dabei viel Unheil anrichten). Ernsthaft verschieben kann das begrenzte militärische Engagement Russlands die Kräfteverhältnisse im Land nicht. Das weiß auch Moskau. Und so drängen Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow auf eine politische Lösung.

Das sollte der Westen ernst nehmen. Denn abgesehen von den vordergründigen Zielen Russlands, wieder aus der Isolation herauszukommen und sich wieder als Global Player zu etablieren, haben Putin und seine Leute einen bedenkenswerten Punkt: Unter den gegebenen Bedingungen brächte eine Implosion des Assad-Regimes die totale Anarchie.

Und was das bedeutet, wissen die Amerikaner mit ihren Irak-Erfahrungen nur zu gut. 2003 stürzten die US-Invasoren nicht nur Saddam Hussein, sie schassten sofort alle Staatsbeamten und lösten die Armee auf. Diese verrückte Politik schuf erst jenes Chaos, aus dem der sogenannte Islamische Staat IS entstehen und wachsen konnte.

Paradoxerweise kamen die internationalen Syrien-Verhandlungen erst durch die russische Intervention so richtig in Gang. Ja, wahrscheinlich wird man auch mit Assad – bevor dieser endgültig abtritt – reden müssen. Mit den Russen sollte man sich aber im Bewusstsein verständigen, dass sie keineswegs einem großen strategischen Plan folgen, sondern bloß taktisch aus der Defensive heraus agieren.

Es drängt jedenfalls. In Syrien entscheidet sich nicht nur die Zukunft der Syrer, nicht nur jene des Nahen Ostens – auch das Schicksal Europas steht auf dem Spiel. Das haben die vergangenen Wochen und Tage eindrücklich gezeigt.

Georg Hoffmann-Ostenhof