Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Pariser Tänze

Pariser Tänze

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Es sieht ganz so aus, als ob demnächst mit François Hollande wieder ein Sozialist in den Élysée-Palast einziehen würde. Aus diesem Anlass sei ein kleiner historischer Rückblick gestattet.

Es muss irgendwann im Jahr 1981 gewesen sein. Bruno Kreisky hatte mich – damals Außenpolitik-Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“ – in einem Learjet auf die Reise zu einem Treffen der Sozialistischen Internationale mitgenommen. Um die Flugzeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, erklärte der Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende dem jungen Journalisten in einer Tour d’Horizon die Welt. Als er in seinem Monolog bei Frankreich angekommen war, begann er zu schimpfen: „Eine vertrottelte Politik“ bescheinigte er dem sozialistischen Präsidenten Fançois Mitterrand. „Das geht doch nicht. Mit diesem Blödsinn wird er sich eine blutige Nase holen.“

Ich empfand damals Kreiskys Kritik als höchst ungerecht. Mitterrand hatte gerade mit der Union de la Gauche – einem Bündnis mit den Kommunisten – und einem romantisch-antikapitalistischen Programm triumphal gewonnen. Die Konservativen hatten vor der Wahl die Befürchtung verkündet, dass im Fall eines roten Siegs auf den Champs-Élysées die Sowjet-Panzer rollen würden. Die kamen zwar nicht. Aber am Wahlabend tanzten die Pariser in den Straßen. Ein Hauch von Revolution lag in diesen Maitagen in der Luft. Und ein völlig leeres Versprechen war die Propaganda der Linksunion, einen „Bruch“ mit dem Kapitalismus vollziehen zu wollen, auch nicht.

Neben längst fälligen Gesellschaftsreformen, wie Dezentralisierung der Verwaltung, Abschaffung der Todesstrafe und Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, wurden auch, wenn schon nicht revolutionäre, so doch radikale wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen: Die Pensionen wurden erhöht, ein Mindestlohn eingeführt, die Arbeitszeit verkürzt und Schlüsselindustrien, Banken und Versicherungen verstaatlicht.
Natürlich sollte Kreisky Recht behalten. Das Kapital begann zu flüchten, der Franc zu schwächeln. Frankreichs Wirtschaft stand am Abgrund. Zwei Jahre nach seinem Wahlsieg mussten Mitterrand und seine Regierung zurückrudern, die meisten verstaatlichten Unternehmen wieder privatisieren und so manche linke Wirtschaftsreform rückgängig machen. Mitterrand regierte dann aber noch bis 1995.

Nun errötet Frankreich wieder – höchstwahrscheinlich. Sicher ist aber, dass am 6. Mai Paris nicht tanzen wird. Mit Hollande werden keine großen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft verbunden. Einen Bruch mit dem Kapitalismus erwartet wohl niemand. Letztlich wird von ihm im Unterschied zu Mitterrand von vor 31 Jahren auch keine historische Wende erwartet. Und wenn er gewinnt, dann nicht, weil die Franzosen ihn so dringend in den Präsidentenpalast hieven, sondern weil sie Nicolas Sarkozy von dort hinaus haben wollen.

Dennoch ruft Hollandes Wahlprogramm einige Beunruhigung hervor: So will er den Franzosen, die mehr als eine Million Euro jährlich verdienen, künftig von jenem Betrag, der eine Million überschreitet, 75 Prozent als Steuern abknöpfen. Mit 60.000 neuen Lehrern will er das öffentliche Schulwesen aufpäppeln. Und geradezu als Spielverderber erscheint er, wenn er verspricht, den bereits ausgehandelten EU-Fiskalpakt wieder aufzuschnüren. Er könne den Pakt nur ratifizieren, wenn dieser nicht nur zum Sparen verpflichtet, sondern auch Elemente einer Wachstumspolitik enthält – wenn dar­in auch Investitionen vorgesehen sind.

Wird sich Hollande wie seinerzeit Mitterrand „eine blutige Nase holen“? Werden die Reichen und das Kapital das Weite suchen? Werden die Märkte Frankreich abstrafen? Und, was vor allem deutsche Medien an die Wand malen: Wird die Achse Berlin–Paris zerbrechen – ist doch Kanzlerin Angela Merkel die Einpeitscherin des europäischen Sparkurses und Architektin des Fiskalpakts?

Wie immer man über die einzelnen Vorhaben des künftigen französischen Präsidenten denken mag – Reaktionen, wie sie Mitterrand mit seiner Politik der frühen achtziger Jahre provozierte, wird Hollande letztlich nicht hervorrufen. Aus einem einfachen Grund: Er bewegt sich im Zeitgeist.
Mitterrand stand vor drei Jahrzehnten quer zu dem damaligen. Der so genannte Neoliberalismus erlebte mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher gerade seine erste Hochblüte. In dieser Zeit schwamm man mit einer linken Verstaatlichungspolitik schon sehr gegen den Strom.

Dass es „vertrottelt“ ist, zu glauben, mit Sparen allein aus der Krise zu kommen, und dass eine gezielte Wachstumspolitik notwendig ist, haben hingegen heute sogar konservative Regierungen entdeckt. Auch die Sorge über die wachsende Ungleichheit und die Forderung nach Reichensteuern sind nicht mehr ausschließlich linke Spezialitäten.

Und mit einem Zerwürfnis zwischen Deutschland und Frankreich ist nicht zu rechnen. Da ist eher jene Perspektive plausibel, die Daniel Cohn-Bendit aufzeigt: Ein sozialistischer Sieg in Paris werde „eine große Koalition in Deutschland noch wahrscheinlicher machen“ und Merkels Weg in die linke Mitte nur weiter beschleunigen.

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Georg Hoffmann-Ostenhof