Georg Hoffmann-Ostenhof: Rakka feiern!

Das „Kalifat“ hat vergangene Woche eine vernichtende Niederlage erlitten. Und kaum jemand freut sich. Zu Unrecht.

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Sieg, Sieg! Mit vereinten Kräften konnte Rakka, die „Hauptstadt“ des „Islamischen Staates“ (IS), Anfang vergangener Woche befreit werden. Bereits zuvor haben die Steinzeit-Dschihadisten den überwältigenden Teil ihres früheren Machtgebiets in Syrien und im Irak verloren. Mit dem Fall von Rakka ist nun auch das Ende des vom IS herbeigebombten Pseudo-Staats besiegelt. Wo aber sind die Siegesfeiern?

Dass Euphorie am Euphrat nicht so recht aufkommen will, ist verständlich: Auf den Trümmern, in den verwüsteten Landschaften und auf Leichenbergen ist nicht gut feiern. Und die Freude derer, die den Horror der IS-Herrschaft und den Kampf um die Stadt überlebt haben, wird durch die bange Ungewissheit gedämpft, wie es für sie nun weitergehen soll.

Dass in der internationalen Öffentlichkeit der Fall von Rakka nur sehr zurückhaltend und wenig jubelnd kommentiert wird, muss doch erstaunen.

Dass in der internationalen Öffentlichkeit der Fall von Rakka nur sehr zurückhaltend und wenig jubelnd kommentiert wird, muss doch erstaunen. War nicht die Terrormiliz in den vergangenen Jahren zum Feind Nummer eins der Menschheit avanciert? War die internationale Staatengemeinschaft nicht übereingekommen, dass die Beseitigung des IS-Kalifats eine ihrer Hauptaufgaben sei?

Und jetzt ist es so weit. Die islamistischen Mörder-Fundis haben ihr Territorium, das noch vor drei Jahren große Teile Syriens und des Iraks mit etwa zehn Millionen Einwohnern umfasste, verloren. Ihnen bleibt nur ein kleines, dünn besiedeltes Rückzugsgebiet. Von Freude aber, das Monster niedergerungen zu haben, keine Spur. Den Grundtenor der Berichterstattung fasst ein Titel eines Artikels im deutschen „Tagesspiegel“ zusammen: „Hoffnungslos gewonnen“.

Auch ist klar, dass mit dem Untergang des „Kalifats“ der dschihadistische Terror in der Region nicht aufhören wird.

An Argumenten für die Hoffnungslosigkeit fehlt es nicht. Es stimmt ja: Das mörderische Chaos in Syrien wird auch nach der vernichtenden Niederlage des IS bleiben. Der nächste Konflikt zeichnet sich bereits ab. Es ist der Kampf um die eroberten IS-Territorien: Auf der einen Seite die von den USA unterstützten kurdisch dominierten SDF-Milizen, die jetzt Rakka erobert haben, und auf der anderen Seite die von Russland und dem Iran unterstützte syrische Armee. Im Irak ist nach der Befreiung von Mossul die Anti-IS-Koalition zwischen der Zentralregierung in Bagdad und den Kurden im Norden zerbrochen. Es sieht nicht nach einer Stabilisierung der Lage im Irak aus.

Auch ist klar, dass mit dem Untergang des „Kalifats“ der dschihadistische Terror in der Region nicht aufhören wird. Die Überlebenden des IS würden nun in den Untergrund gehen und in Guerilla-Manier ihr blutiges Unwesen weitertreiben, wird argumentiert. Und selbst wenn der IS völlig verschwinden sollte: Solange die Ursachen für ihre Entstehung nicht beseitigt sind, tauchen neue, ähnliche Dschihadisten-Milizen auf. Der IS werde in neuem Gewande wiederauferstehen.

Schließlich warnen die Geheimdienste in Europa und den USA, dass jetzt viele jener jungen Europäer, die seinerzeit aufgebrochen waren, um mit dem IS in die Schlacht zu ziehen, nach Hause zurückkehren, um dort in verstärktem Maße Anschläge zu verüben. Das alles hat seine Richtigkeit. Aber wird dabei nicht etwas übersehen? Der kriegerische Islamismus insgesamt hat eine wichtige Bastion verloren. Die Herrschaft über ein Territorium heißt auch, dass man auf eine Infrastruktur zurückgreifen kann. Vor allem auf Geld. Der IS plünderte nicht nur brutal die Bevölkerung aus, er betrieb einen blühenden Öl- und Antiquitätenhandel. All das erleichterte die Organisation terroristischer Aktionen in Nahost und anderswo.

Vor allem machte die Tatsache, dass der IS über einen wie immer gearteten Proto-Staat verfügte, einen Großteil der Faszination aus, die Tausende derangierte – und meist kleinkriminelle – radikalisierte europäische Jugendliche nach Syrien pilgern ließ.

Nach Syrien aufzubrechen, hat seine Attraktivität eingebüßt. Mit Verlierern identifiziert man sich nicht. Da mögen frustrierte Heimkehrer in den kommenden Monaten verstärkt Anschläge verüben.

Für diese waren die Kämpfer mit den schwarzen Fahnen Helden. An ihrem Feldzug gegen die Ungläubigen teilzunehmen, verhieß nicht nur, für eine vermeintlich gute Sache seinen aggressiven Tendenzen freien Lauf lassen zu können und für den Fall, dass sie im Kampf den Tod finden, als Märtyrer gefeiert zu werden und ins Paradies aufzusteigen. Da gab es ganz prosaische Verlockungen: Mit blitzenden Waffen herumzuballern, in riesigen schwarzen SUVs zu fahren, mit versklavten Frauen machen zu können, was man will. Schließlich versprach der IS gutes Geld. In der Tat zahlte er den Ausländern – zumindest in der Anfangszeit – mehr, als sich die meisten von ihnen daheim erträumen hätten können.

Das alles ist nun mehr oder minder vorbei. Nach Syrien aufzubrechen, hat seine Attraktivität eingebüßt. Mit Verlierern identifiziert man sich nicht. Da mögen frustrierte Heimkehrer in den kommenden Monaten verstärkt Anschläge verüben. Auf mittlere Sicht dürfte jedoch mit dem Wegfall des Kalifats als Sehnsuchtsort die islamistische Radikalisierung in unseren Breiten zurückgehen. Und das ist doch, bitte schön, etwas Erfreuliches.

PS: Was der Verlust ihrer „Hauptstadt“ für die IS-Dschihadisten besonders schmerzlich und schmachvoll macht: Sie wurden von einer Frau geschlagen. Die Kurdin Rojda Felat hatte den Oberbefehl über die Truppen, die Rakka eroberten. Die schon in der Schlacht um Kobane erprobte Soldatin bezeichnet sich selbst als „radikale Feministin“.

Georg Hoffmann-Ostenhof