Georg Hoffmann-Ostenhof: Ein Schurkenstück
Die amerikanische Nahost-Initiative scheint weniger ein Friedensdeal als vielmehr ein Schurkenstück zu sein. Der Schurkerei sind die zwei Protagonisten dieses Deals jedenfalls verdächtig. Israels Premier Benjamin „Bibi“ Netanjahu droht wegen Korruption Gefängnis, US-Präsident Donald Trump die Amtsenthebung. Und beide müssen sich Wahlen stellen.
Als die beiden am vergangenen Dienstag in Washington gemeinsam ihren „Jahrhundertdeal“ vorstellten, sich gegenseitig in den höchsten Tönen als Friedensstifter lobten und dann am Ende der Veranstaltung noch „What a Wonderful World“ erklang, konnte niemandem entgehen, dass es sich da zuallererst um eine Wahlveranstaltung handelte – auf der Trump und Netanjahu in der Rolle von gegenseitigen Wahlhelfern auftraten.
Willkommene Ablenkung für Trump
Dass der Amerikaner seinem Freund Bibi faktisch grünes Licht für die Eingliederung breiter Teile der besetzten Gebiete ins israelische Staatsgebiet gab, soll diesem die israelische Rechte und Ultrarechte wieder voll zutreiben und ihm doch noch eine fünfte Amtszeit garantieren. Für Trump war es eine willkommene Ablenkung der Öffentlichkeit vom Impeachment-Verfahren, das ihm – trotz Aussicht auf Freispruch durch die republikanische Senatsmehrheit – schwer zu schaffen macht. Und Trumps evangelikale Stammwählerbasis, allesamt fanatische Israelfreunde, sollte mobilisiert werden.
Ob das Kalkül aufgeht, wird sich zeigen. Klar ist jedoch, dass hinter und unterhalb dieser US-israelischen Wahltaktik, Weichen gestellt werden, die sicher nicht in eine „wonderful world“ führen. Ganz im Gegenteil.
Das Herzstück des Plans, der als „realistische Zwei-Staaten-Lösung“ verkauft wird, ist die formelle Annexion der seit 1967 illegal in der Westbank entstandenen Siedlungsgebiete. Dazu soll auch das gesamte fruchtbare Jordantal, die grünen Lunge eines möglichen palästinensischen Staates, unter israelische Souveränität kommen. Als Kompensation würden die Palästinenser 50 Milliarden Dollar und ein Stück Wüste nahe der ägyptischen Grenze erhalten. Die Handschrift von Immobiliendealern ist sichtbar. Jerusalem soll ungeteilte Hauptstadt Israels bleiben. Die Palästinenser dürfen auf einem mit einer Mauer von der Stadt getrennten Vorort Jerusalems die Kapitale ihres Staates ausrufen.
Diktatfrieden
Aber wie würde dieser aussehen? Er wäre eine unzusammenhängende Reihe von Kantonen, die untereinander durch Brücken und Tunnels verbunden sind, alles umgeben von israelischem Land. Israel soll weiterhin die militärische Kontrolle über das gesamte Gebiet westlich der Grenze zu Jordanien behalten.
Wenn dieser Vorschlag etwas mit Frieden zu tun haben soll, dann ist es ein Diktatfrieden. „Der Plan sieht zu sehr danach aus, dass die Besatzer belohnt, die Besetzten aber zur Kapitulation gezwungen werden sollen“, schreibt die britische „Financial Times“. Eine Zwei-Staaten-Lösung bringt also der „Jahrhundertdeal“ sicher nicht. Einen gewissen Realismus kann man ihm gleichwohl nicht absprechen. Denn im Grunde genommen ist er die Fortschreibung des aktuellen Besatzungsregimes – und dessen Legitimierung und Legalisierung. Zudem spiegelt der Plan die bestehenden Kräfteverhältnisse wider. Und die zeigen die Israelis so stark und die Palästinenser so schwach wie noch nie.
Keine Solidarität mit den Palästinensern
Das lässt sich nicht zuletzt an den Reaktionen auf Trumps Vorstoß ablesen. Wütende Massen wären noch vor ein paar Jahren auf die arabischen Straßen geströmt, jetzt bleiben diese leer. Von Solidarität mit den Palästinensern ist auch in den arabischen Staatskanzleien und Palästen nichts mehr zu spüren. Der Feind sitzt nun nicht mehr in Jerusalem, sondern in Teheran. Und man ist gut Freund mit den USA des Donald Trump. Der blutrünstige saudische Kronprinz Mohammed bin Salman – ein Busenfreund des Trump-Schwiegersohnes und Nahost-Dealmakers Jared Kushner – soll sogar in die Erstellung des Friedensplans eingebunden gewesen sein.
Auch ist die Zeit, in der Zehntausende friedensbewegte Israelis auf die Straße gingen, um gegen die Palästinenser-Politik ihrer Regierung zu protestieren, längst vorbei.
In Europa wird nicht mehr so aufgeregt wie zuvor auf das Völkerrecht und auf UN-Resolutionen gepocht. Man werde den Trump-Vorschlag ansehen und prüfen, klingt es vorsichtig aus den EU-Metropolen. Bemerkenswert auch die Stellungnahme von Sebastian Kurz, der noch als Außenminister kategorisch meinte, eine „aufoktroyierte“ Lösung könne es nicht geben, jetzt als Kanzler aber den amerikanischen Nahost-Plan begrüßt und die Parteien dazu auffordert, auf dieser Grundlage Verhandlungen aufzunehmen. Wohl Kapitulationsverhandlungen.
Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung
Dazu werden die Palästinenser zu Recht nicht bereit sein. Aber heute ist klarer denn je: Die Zwei-Staaten-Lösung wird von der denkbaren Option zur illusionären Fiktion. Die bittere Wahrheit ist, dass bis auf Weiteres alles so bleiben wird, wie es ist: Auf einem Territorium sind zwei verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlichen Rechtsnormen unterworfen, herrscht ein Bevölkerungsteil über einen ethnisch anderen, dem nur eine sehr begrenzte Eigenverwaltung auf kaum miteinander verbundenen Landstücken ohne volle Bewegungs- und Reisefreiheit zugestanden wird. Die Frage, ob das nicht Apartheid ist, wird immer häufiger gestellt.
Die Palästinenser werden wohl die Hoffnung auf einen eigenen Staat aufgeben und voll den Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung aufnehmen müssen.