Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Schutzgeld

Schutzgeld

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Das war schon komisch, wie sich Michael Spindelegger im Nationalratswahlkampf 2013 als dynamischer Tatmensch gerierte und mit fester Stimme versprach, die österreichische Wirtschaft zu entfesseln. Er hatte sich offenbar von Spin-Doktoren „hineintheatern“ lassen. Die Diskrepanz zwischen der Rolle, die der Vizekanzler zu spielen versuchte, und dem, was er wirklich ist, reizte zum Lachen.

Jeder wusste zudem, dass er nie und nimmer irgendetwas entfesseln würde. Dazu ist er nicht nur nicht der Typ. Als Chef der Landesfürsten-Partei ÖVP kann er auch Österreich von einer seiner Hauptfesseln, dem Föderalismus, per definitionem nicht befreien. Für die Beseitigung des zweiten großen Hemmnisses für die Entwicklung des Landes, des sich hier hartnäckig haltenden Zunft- und Kammersystems, ist „Spindi“ wohl gleichermaßen nicht der prädestinierte Mann.

Nun hat kürzlich die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) eine Breitseite gegen diese den Wettbewerb blockierende Verfasstheit Österreichs losgefeuert. Hauptziel des großen polemischen Artikels: die hiesige Gewerbeordnung. Noch immer sei die Ausübung von 214 Berufen reglementiert – mehr als in fast allen anderen europäischen Ländern: Restriktiver sind nur Tschechien, Polen, Slowenien und (interessanterweise) Großbritannien. Natürlich sei es sinnvoll, dass bei sensiblen Berufen, die besondere Zuverlässigkeit verlangen, wie Baumeister, Elektriker, Waffenhändler oder Vermögensberater, Befähigungsnachweise erbracht werden müssen, konzediert die „NZZ“. Dass aber etwa ein Nagelstudio Fingernägel, aber keine Fußnägel verschönern darf oder Absolventen staatlicher Mode-Akademien sich nicht als Schneider selbstständig machen dürfen, findet sie absolut unverständlich.

Dass bei uns außerdem unzählige berufsständische Vertretungen, Innungen und Kammern nach wie vor ihren Mitgliedern mit Gebietsschutz-Bestimmungen und strengen Ladenschlussregeln unliebsame Konkurrenz vom Hals halten können, erscheint den liberalen Schweizern überaus befremdlich: „Konsumenten zahlen Schutzgeld für Zünfte und Gebietsschutz.“

Die ÖVP wird an unserem Kammerstaat Großes wohl nicht ändern. Das ist evident. In der Partei haben ja die Kämmerer das Sagen. Gewerbefreiheit will man nur für die eigene Klientel. An Liberalität mangelt es der Partei eben nicht nur in gesellschaftspolitischen Fragen (Ausländer, Homosexualität, Verhältnis von Kirche und Staat usw.), sondern auch dort, wo sie Sonderkompetenz beansprucht: in der Wirtschaft.

Aufgeklärte Freunde des freien Marktes konnten freilich vergangenes Jahr frohlocken: Endlich schien mit NEOS eine wirklich liberale Partei aufgetaucht zu sein, die nicht selektiv, sondern in allen Bereichen Freisinn zeigt, und – ein Novum für Österreich – auch vom Publikum angenommen wird. Das wurde nicht zuletzt anlässlich des jüngsten „ORF-Sommergesprächs“ mit Matthias Strolz klar. Eine rekordverdächtige Dreiviertelmillion Österreicher wollte sehen, wie sich der NEOS-Chef schlägt.

Wirklich überzeugen konnte er aber nicht. Gewiss, im Unterschied zu Spindelegger ist Strolz echt entfesselt. Dem Mann glaubt man den dynamischen Politiker, der ernsthaft etwas will – auch wenn sein missionarisch-hektischer Enthusiasmus zeitweise ein wenig schrullig wirkt. Da mag man so manche seiner Positionen nicht teilen – Interessantes zu wichtigen Themen wie Wohnen und Wasser, Privatisierungen und Pensionen sagte er allemal.

Seltsam mutet freilich an, dass er zu Punkten, die für jede liberale Reformagenda in Österreich zentral sein müssten, nichts zu sagen hatte. Kaum ein kritisches Wort fand er diesmal zum Föderalismus. Und das von der „NZZ“ kritisierte Kammerunwesen sprach er überhaupt nicht an.
Nun könnte man meinen, er hätte dazu nichts gesagt, weil er im Gespräch nicht danach gefragt wurde. Das mag sein. Böswilliger interpretiert: Strolz will die ÖVP – mit der er erklärtermaßen koalieren will – und deren Kernwähler nicht verprellen; und die Macht der Bundesländer scheut er sich anzugreifen, weil Wahlen in seiner Heimat Vorarlberg bevorstehen.

Kurzfristig mag ein derartiges taktisches Herangehen an Politik sogar erfolgreich sein. Für eine neue Kraft, die beansprucht, die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, kann schon mittelfristig ein allzu frühzeitiges politisch-anpasslerisches Verhalten jedoch verheerende Auswirkungen haben.

Ebenfalls auffällig war, dass Strolz in das allgemeine Lamento einstimmte, dass Österreichs so furchtbare Staatsverschuldung Hauptursache allen Übels sei. Da muss man schon fragen: Kennt der NEOS-Vorsitzende denn nicht die Erkenntnisse von durchaus marktradikalen Institutionen wie IMF und OECD, dass der bisherige Sparkurs – gerade in relativ prosperierenden Ländern wie Deutschland und Österreich – ein Fehler war? Liberale Strukturreformen hätten Dringlichkeit, sagen diese internationalen Organisationen, aber allzu rigide Austerity-Politik habe bisher verhindert, dass sich die europäische Ökonomie von der Krise erholt.

Es ist zu hoffen, dass Strolzens Themensetzung bei seinem jüngsten TV-Auftritt zufällig war oder nur die Kinderkrankheiten einer ganz jungen Partei widerspiegelt. Wenn nicht, ist an einer guten NEOS-Zukunft zu zweifeln. Österreich bliebe weiterhin ohne echte liberale Partei. Die „NZZ“ hätte recht, wenn sie meint, dass hierzulande auf absehbare Zeit „das Zunftregime eine uneinnehmbare Bastion“ sei.

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