Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Späte Rückkehr

Späte Rückkehr

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Es war in den 1980er-Jahren. Die Waldheim-Affäre passionierte die Öffentlichkeit. Die dunklen Kapitel der österreichischen Vergangenheit wurden hitzig diskutiert. Und die Zahl der Sowjetjuden, die nicht mehr im russischen Kommunismus leben wollten und zur Ausreise drängten, wuchs. Da plädierte ich als Kolumnist der (bald darauf eingegangenen) „Arbeiter-Zeitung“ für Folgendes: Österreich sollte so viele Juden aufnehmen und einbürgern, wie während der Nazi-Zeit vertrieben und ermordet wurden – etwa 200.000. Als eine Art Wiedergutmachung. Solch ein Schritt wäre zudem segensreich für das Land, argumentierte ich. Hatte nicht auch seinerzeit das jüdische Element Österreich und vor allem Wien zu jener Blüte geführt, die heute noch nostalgisch als goldene Ära unserer Geschichte gefeiert wird?

Wie fast immer hörte man nicht auf mich. Im Unterschied zu Deutschland, wo im Jänner 1991 „Juden und Menschen mit jüdischen Vorfahren aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion“ zu Kontingentflüchtlingen erklärt wurden und damit automatisch Einreise und Aufenthaltsrecht erhielten, geschah hierzulande nichts dergleichen. Während sich die jüdische Gemeinde in Deutschland in nur wenigen Jahren vervielfachte, hielt sich bei uns der jüdische Zuzug aus dem Osten in engen Grenzen.

Dennoch: Seit den Waldheim-Zeiten ist einiges passiert. Dass Österreich einst nicht nur Opfer, sondern auch Täter war, ist inzwischen Staatsdoktrin. Auch bei uns wurde – wenngleich Jahrzehnte zu spät – mit der Rückgabe von arisiertem, sprich von den Nazis geraubtem, Vermögen aller Art begonnen. Und dass „endlich ein Schlussstrich“ gezogen werden müsse, wagt heute offen nur mehr die extreme Rechte zu fordern.

Der Holocaust fand vor sieben Jahrzehnten statt. Vor über fünf Jahrhunderten, im März 1492, erließen die „Katholischen Könige“ Isabella von Kastilien und ihr Ehemann Ferdinand II. von Aragón das Alhambra-Edikt: Darin wird die unwiderrufliche Vertreibung der Juden – sofern sie nicht zum Christentum übergetreten waren – aus allen Territorien der spanischen Krone verordnet.

Jahrhunderte waren die Sepharden, wie die spanischen Juden genannt wurden, auf der Iberischen Halbinsel ansässig gewesen und hatten als Philosophen und Übersetzer, Diplomaten und Bankiers, Kaufleute und Künstler maßgeblich zur reichen Kultur der damals unter arabischer Herrschaft stehenden spanischen Gesellschaft beigetragen. Nun wurden sie zu Hundertausenden verjagt. Die zum Christentum Übergetretenen, die im Geheimen an ihrer alten Religion festhielten – Marranen genannt –, standen unter Generalverdacht der Inquisition. Nicht wenige der Konvertiten starben auf dem Scheiterhaufen.

Viele der Sepharden ließen sich zunächst in Portugal nieder, wo sie jedoch auch bald hinausgeworfen wurden. Dann siedelten sie sich vor allem in Nordafrika, Italien, auf dem Balkan, in Griechenland und der Türkei, aber auch in Holland und Deutschland an. Nicht wenige überquerten den Ozean, um in der Neuen Welt eine neue Heimat zu finden.

Und im Zweiten Weltkrieg teilten vor allem die am Balkan lebenden Sepharden das grausame Schicksal der Aschkenasen – wie die osteuropäischen Juden genannt werden. Die Juden von Saloniki etwa machten ein Drittel der Stadtbewohner aus. Als der Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim dort stationiert war, wurden sie nach Auschwitz deportiert. Er sei zu dieser Zeit auf Heimaturlaub gewesen, verteidigte sich in den 1980er-Jahren der österreichische Bundespräsident, er habe von der Judenvernichtungsaktion der Nazis in Nordgriechenland nichts bemerkt.

Dieser Tage zeigt sich aber, dass zuweilen den Opfern der Geschichte selbst nach Jahrhunderten doch Gerechtigkeit widerfährt: Obwohl das krisengeschüttelte Spanien heute sicherlich andere Sorgen hat, beschloss die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy, den geschätzt 3,5 Millionen Nachkommen der vertriebenen Sepharden die spanische Staatsbürgerschaft anzubieten. Sie sollen ihre bisherige behalten können. Der Antrag auf einen spanischen Pass werde möglichst unbürokratisch erledigt, verspricht Madrid.

„Nein, ich werde nicht Spanier“, lacht Robert Menasse, der mit seinem 2001 erschienenen großen historischen Roman „Die Vertreibung aus der Hölle“ nicht zuletzt seiner iberischen Vorfahren gedachte. Der Name Menasse ist ebenso sephardisch wie etwa Todesco, Canetti, Ephrussi oder Pereira – Namen, die eine nicht zu unterschätzende Rolle in der österreichischen Geschichte und Kultur spielten. „Ich bin mit meinem österreichischen Pass sowieso Europäer“, sagt der Schriftsteller: „Ich brauche den spanischen nicht.“ Als symbolischen Akt findet er den Madrider Beschluss der Sepharden-Einbürgerung aber faszinierend.

Und für Nachkommen der vertriebenen spanischen Juden, die heute in Ländern leben, in denen es ihnen schlecht ergeht, oder die als Israelis den nahöstlichen Stress schwer aushalten, ist die sich ihnen nun eröffnende europäische Perspektive ganz real und durchaus attraktiv.

Wie viele von ihnen tatsächlich auf das Angebot aus Madrid eingehen werden, ist noch nicht abzusehen. Dennoch muss bereits jetzt gesagt werden: Vor der spanischen Regierung und ihrer so generösen, mutigen und vorbildhaften Vergangenheitspolitik gilt es, tief den Hut zu ziehen.

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