Georg Hoffmann-Ostenhof Spindelegger, Draghi und der Zeitgeist
Natürlich muss man die jüngsten Turbulenzen in der heimischen Politik als Ausdruck einer längerfristigen Entwicklung Österreichs interpretieren. Der Niedergang der beiden Volksparteien; die Unfähigkeit der politischen Klasse, ernsthaft zu reformieren; das längst überholte ständische Organisationsprinzip der ÖVP, das diese handlungsunfähig macht; und schließlich die immer weiter wachsende Macht der Landesfürsten: Der Blick auf all das kann tatsächlich depressiv stimmen und lässt die profil-Hypothese eines Endes der Zweiten Republik und der drohenden Kanzlerschaft des Heinz-Christian Strache durchaus plausibel erscheinen.
Es lohnt sich, die österreichischen Ereignisse der vergangenen Wochen in den internationalen Kontext zu stellen. Und da zeigt sich überraschenderweise, dass diese keineswegs bloß auf austriakische Besonderheiten und Skurrilitäten allein zurückzuführen sind, sondern letztlich auch Ausfluss einer allgemeinen, europäischen Entwicklung sind. Dabei geht es vor allem um die Wirtschaftspolitik.
Und die scheint auf EU-Ebene an einem Wendepunkt angekommen zu sein. Man erinnere sich an den Sommer 2012, als Mario Draghi in London erklärte, die Europäische Zentralbank (EZB) werde alles tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird ausreichen. So war es auch. Jetzt am 22. August 2014 legte EZB-Chef Draghi in den USA nach: Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln werde seine EZB angesichts der drohenden Deflation und Rezession die Teuerung in der EU nach oben treiben.
Die Entscheidungen der Zentralbank vom vergangenen Donnerstag zeigen, wo es lang geht: Sie wird in der nächsten Zeit massiv Geld in die europäische Wirtschaft pumpen, damit endlich das Wachstum anspringt. Strukturreformen seien wichtig, aber allein zu wenig, und Schuldenabbau in der jetzigen Situation nicht vorrangig, ließ Draghi vernehmen. Er ließ in seiner US-Rede keinen Zweifel daran, dass wir ein gesamtwirtschaftliches Nachfrageproblem haben, das zu lösen ohne ganz gezielte Stimulierung nicht möglich sei. Es müsse investiert werden. Auf EU-Ebene. Und die einzelnen Staaten sollten durch Steuersenkungen und öffentliche Aufträge Nachfrage schaffen auch wenn dies kurzfristig auf Pump gemacht werden müsste. Besonders seien da die reichen Staaten des Nordens gefordert, deren Verschuldung sich in Maßen hält. Konkret hat Draghi kein Land genannt, dass er aber Deutschland meinte, ist offensichtlich.
Wonach die Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Paul Krugman, die Obama-Regierung, der Internationale Währungsfonds, die europäische Linke und der EU-Süden seit Jahr und Tag rufen, ist nun auch in der Europäischen Zentralbank angekommen. Der an und für sich konservative Draghi wendet sich von der bisherigen Sparpolitik ab. Deren Einpeitscherin, Angela Merkel, verliert so einen ihrer wichtigsten Bündnispartner. Der Zentralbankchef hat mit seinem August-Auftritt in Amerika einen keynesianischen Schwenk vollzogen.
Nur wenige Tage später macht sich mit Österreich auch ein anderer, nicht ganz so bedeutender, Akteur daran, dem Merkelschen Sparverein Adieu zu sagen. Mit dem Abgang Michael Spindeleggers ist der deutschen Bundeskanzlerin einer ihrer treuesten wirtschaftspolitischen Vasallen abhanden gekommen. Mit geradezu religiösem Eifer hat der Mann aus der Hinterbrühl das Dogma der Austerity verkündet, in dem Schuldenmachen als Todsünde schlechthin firmiert. Dem Imperativ der Haushaltskonsolidierung hat der VP-Chef und Finanzminister alles untergeordnet.
Bloß der europäische Zeitgeist ist heute ein anderer. Und der scheint Spindelegger von seinem Posten geweht zu haben. Dass dieser neue Zeitgeist im konkreten Fall in der Gestalt von intriganten westösterreichischen Landeshauptleuten und missmutigen VP-Bündepolitikern kam, mag als ironische Volte der Geschichte gelten. Und ob Spindeleggers Nachfolger in Regierung und Partei tatsächlich die Reformblockade, unter der Österreich so leidet, zu beenden willens und fähig sind, ist erst abzuwarten.
Eins ist aber auch klar: Der persönlich durchaus sympathische Michael Spindelegger inkarnierte wie kein anderer all das, was in der österreichischen Politik Rückständigkeit und Immobilität ausmacht. So wenig die Zeichen der Zeit zu erkennen, war schon eine Meisterleistung, die ihm so bald niemand nachmacht. Nur einige Beispiele:
Die Wirtschaftsfachleute sind sich einig: Die Belastung des Faktors Arbeit ist bei uns zu hoch, Vermögen wird aber so wenig besteuert wie in kaum einem anderen EU-Land. Spindelegger beharrte aber darauf, dass die Reichen von der Finanz weithin unbehelligt bleiben.
Konsens herrscht inzwischen unter allen, die etwas davon verstehen, dass das Selektieren der Schulkinder mit zehn Jahren einfach zu früh ist, dass damit wertvolles Human Capital sinnlos verschwendet und Ungleichheit perpetuiert wird. Hartnäckig halten aber Spindelegger und seine Freunde am Schulsystem des 19. Jahrhunderts fest.
Und dass Österreich in Sachen Homo-Ehe und Familienpolitik so stark der internationalen Entwicklung nachhinkt, verdanken wir jener katholisch-konservativen Retro-Strömung, für die Spindelegger steht.
Männer wie Reinhold Mitterlehner und Hans Jörg Schelling mögen vielleicht nicht vom Fortschritt beseelte Reformer sein, aber es sieht so aus, als ob sie den unideologischen Pragmatismus aufbringen könnten, der notwendig ist, um aus der ÖVP jene halbwegs moderne und kompromissfähige konservative Partei zu machen, die das Land braucht. Auszuschließen ist das jedenfalls nicht. Das Ende der Zweiten Republik scheint doch noch nicht in Sichtweite zu sein.
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