Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Starke Ansagen

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So schwärmerisch hat in der letzten Zeit wohl kaum jemand über Europa gesprochen. Christopher Clark, der durch die „Schlafwandler“, sein großes Buch über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, weltberühmt wurde, sagte in seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele folgenden Satz: „Die EU ist eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte.“

Man möchte ihm glauben. Bloß: Warum teilen so wenige die Einschätzung des australischen Historikers? Warum wenden sich so viele Europäer von dieser großartigen Errungenschaft ab und den Nationalisten und Europahassern zu – wie die jüngsten Wahlen zum EU-Parlament zeigen? Armin Wolf stellte in der ZiB 2 Clark diese Frage. Natürlich sei diese Entwicklung bedenklich, antwortete dieser, um im gleichen Atemzug zu beruhigen. Überschätzen sollte man die rechten, antieuropäischen Nationalisten nicht. Sie haben ihren Wählern nichts anzubieten. Man sollte sie nicht wirklich ernst nehmen, meint Clark. Sie wurden durch die Krise nach oben geschwemmt, ihr Aufschwung sei aber eine vorübergehende Erscheinung. Die europäischen Strukturen seien zudem stark genug, fallweise nationalistische Aufwallungen in Teilen der europäischen Gesellschaft zu verkraften.

Man könnte versucht sein, Clark einen blauäugigen Geschichtsoptimismus zu unterstellen. Die jüngste Veröffentlichung des Eurobarometers – der von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen vierteljährlichen Meinungsumfrage – zeigt jedoch, dass er mit seiner Gelassenheit so unrecht nicht hat.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Anti-EU-Welle, die 2009 zu rollen begann, läuft aus. Offenbar atmen die Leute nach den Jahren der wirtschaftlichen Krise wieder auf. Die Europäer, die positiv zu Brüssel eingestellt sind, haben gegenüber jenen, die der Union skeptisch bis feindlich gegenüberstehen, wieder die Oberhand. Das Vertrauen in den Euro und in die Zukunft der EU ist wieder im Steigen begriffen. Besonders beeindruckend: Die Identifikation mit Europa wächst. Sechs von zehn der Befragten empfinden sich als „Bürger der Europäischen Union“ – so viele wie nie zuvor. Und die Zahl jener, die meinen, ihre Stimme zähle in der EU, ist sprunghaft angestiegen. Nach der Europawahl in diesem Jahr auf immerhin 42 Prozent. Ein bisheriger Rekord.

Wir Österreicher sind auch nicht mehr die EU-Skeptiker par excellence. Gemeinsam mit den Deutschen und Finnen rangieren wir sogar an der Spitze der europäischen Völker, wenn es darum geht, sich als EU-Bürger zu definieren. Auch der Satz „die in Brüssel machen ohnehin, was sie wollen“ dürfte hierzulande nicht mehr so en vogue sein. Eine knappe Majorität der Österreicher – mehr als im europäischen Durchschnitt – stimmt dem Satz zu: „Meine Stimme zählt in der EU“.

Ist Europa also wieder im Kommen?

Von EU-Begeisterung, wie sie der Historiker Clark zeigt, ist man gewiss nach wie vor weit entfernt. Aber die Stimmung hellt sich auf. Brüssel-Bashing verliert an Reiz. Die Leute beginnen wieder ein wenig an das Projekt Europa zu glauben. Mag sein, dass das nur leichte positive Bewusstseinsverschiebungen sind. Aber in so düsteren Zeiten wie diesen sind auch kleine Veränderungen zum Besseren Anlass zur Freude.

Ein echter Paradigmenwechsel geht freilich auf einer anderen Ebene vor sich. Die EU beschloss vergangene Woche, die Sanktionen gegen Russland maßgeblich zu verschärfen. Wochenlang hatten die Medien geklagt, Brüssel und die europäischen Regierungen seien unfähig, gemeinsam und entschlossen auf Wladimir Putins Neoimperialismus zu antworten. Als halbherzig und wirkungslos wurde die Politik der EU gegenüber Moskau kritisiert. Damit ist es nun vorbei.

Die neu verhängten Sanktionen treffen die russische Wirtschaft in ihren wichtigsten Sektoren: Banken, Energie und Waffen. Dass sich die Regierungen der 28 EU-Staaten mit ihren so unterschiedlichen Interessenslagen in Bezug auf Russland überhaupt auf ein derartiges Maßnahmenpaket einigen konnten, hat überrascht. Noch erstaunlicher, dass sie das im klaren Bewusstsein taten, durch diese Politik die eigenen Ökonomien in Mitleidenschaft zu ziehen. Wenn etwa Ulrich Grillo, der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, im „Handelsblatt“ schreibt, er wisse um den Schaden, den die Russland-Sanktionen für die deutsche Wirtschaft bedeuten, dieser werde aber „mehr als aufgehoben, wenn es gelingt, dem Völkerrecht in Europa und Rechtsgrundsätzen generell Geltung zu verschaffen“, dann muss man sagen: Das hat Format. Respekt.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben sich diesmal von längerfristigem und europäischem Denken leiten lassen und nicht bloß von kurzfristigen und nationalen Interessen. Solches nennt man strategisches Handeln. Und das ist für die EU ein Novum. Ein wenig pathetisch ausgedrückt: Dank Wladimir Putin erleben wir die Geburt einer echten europäischen Außenpolitik.

Und wenn die EU noch demnächst – hoffentlich – eine starke und profilierte Persönlichkeit auf den Posten des Hohen Vertreters für Außenpolitik hievt, dann könnte Europa langsam jenes politische Gewicht in der Weltpolitik bekommen, das seiner ökonomischen Stärke angemessen ist. Höchste Zeit wäre es.

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