Georg Hoffmann-Ostenhof: Arabellion, die nächste
Wurde Omar al Bashir durch einen Militärputsch gestürzt? Oder durch eine Revolution? Noch kann diese Frage nicht wirklich beantwortet werden. Tatsache ist, dass nach 30 Jahren Herrschaft der sudanesische Diktator am 11. April von Generälen seines Amtes enthoben wurde, nachdem Hunderttausende Menschen durch Monate hindurch auf die Straße geströmt waren, um klarzumachen, dass sie dessen korruptes und repressives Regime nicht länger ertragen wollten.
In den vergangenen Tagen sieht es eher nach einer Revolution aus. Die Sudanesen sind nicht nach Hause gegangen, als der Tyrann weg war. Den Versprechen der Generäle, nach einer Übergangsphase von zwei Jahren, in denen ein Militärrat die Staatsgeschäfte führt, wählen zu lassen, schenkten sie keinen Glauben. Sie drängen darauf, dass die Macht schleunigst einer Zivilregierung übergeben wird. Zehntausende campieren vor dem Hauptquartier der sudanesischen Armee in Karthum. Der Militärrat muss immer mehr Konzessionen machen.
Ihr erster Chef musste bereits einen Tag nach dem Sturz Bashirs zurücktreten. Weitere Zentralfiguren des Regimes wie der Geheimdienstchef, der Oberstaatsanwalt und sein Vize, sowie der Chef von Radio und Fernsehen wurden bereits entmachtet. Und die Militärs bieten einen Dialog mit den Protestierenden an.
Auch die Algerier geben sich nicht mit dem Abtreten ihres Präsidenten zufrieden. Abdelaziz Bouteflika, der wie Bashir seit 1989 an der Spitze seines Landes gestanden war, wollte ein fünftes Mal für das höchste Amt kandidieren. Daran entzündete sich die Protestbewegung. Am 2. April trat er zurück. Und für Juli hat nun der Übergangspräsident Abdelkader Bensalah Neuwahlen ausgerufen. Dem trauen die Algerier aber nicht. Bensalah war immer ein Intimus Bouteflikas. Und Scheinwahlen mit Pseudo-Oppositionellen, bei denen die tatsächliche Macht unangetastet bleibt, haben sie bereits zur Genüge erlebt.
Die islamistische Versuchung dürfte in beiden Ländern nicht sehr groß zu sein.
Um Freiheit und Demokratie zu erlangen, müsse „le pouvoir“, wie es da heißt, jenes opake Machtgefüge aus Militärs, Business-Seilschaften und der alten Staatspartei, das hinter Bouteflika gestanden hat, gestürzt werden. Die Rebellion ist mit dem Abgang des greisen Langzeitpräsidenten nicht zu Ende.
Wie die Sache in Algerien und im Sudan ausgeht, ist völlig ungewiss. Sieht man in den jetzigen Freiheitsbewegungen eine Parallele zum Arabischen Frühling des Jahres 2011 – quasi die nächste Arabellion –, muss man zunächst pessimistisch sein.
Auch damals wurden alte Autokraten gestürzt, aber mit Ausnahme von Tunesien, wo sich halbwegs demokratische Verhältnisse etablierten, mündeten die Revolten in Katastrophen: In Ägypten herrscht heute eine noch schärfere Militärdiktatur als unter Hosni Mubarak, der damals verjagt wurde. Jemen und Syrien versanken in blutigen Bürgerkriegen, und Bashar al Assad konnte sich in Damaskus an der Macht halten. In Libyen herrscht totales Chaos. Und die arabischen Ölmonarchen sitzen weiter in ihren Palästen. Warum soll es den rebellierenden Algeriern und Sudanesen besser ergehen als ihren arabischen Brüdern, die sich vor acht Jahren auf den Weg in die Freiheit gemacht hatten?
Zunächst: Die algerischen und sudanesischen Bewegungen können aus den Erfahrungen des Arabischen Frühlings lernen. Tatsächlich machen sie sich keine Illusionen, dass sie in der Armee einen Freund des Volkes haben. Die Entwicklung Ägyptens hat sie eines Besseren belehrt. Den Fehler, den Generälen und ihren Zusicherungen zu trauen, wird man in Khartum und Algier wohl nicht mehr so leicht machen.
Noch etwas fällt auf: Die Religion spielt da allem Anschein nach keine Rolle. Die grüne Fahne des Islam flattert nicht bei den Demonstrationen, keine Allahu-Akbar-Rufe sind zu hören. Gewiss, auch 2011 schien anfangs die Revolte eher säkular zu sein. Sie wurde erst später von den Islamisten usurpiert. Aber im Unterschied zu den Syrern und den Ägyptern damals haben die Sudanesen und Algerier mit dem radikalen Islam bereits überaus grausame Erfahrungen gemacht.
Bashir herrschte mit der schärfsten Anwendung der Scharia. Vor allem die Frauen wurden im islamischen Staat aufs Wüsteste unterdrückt. Nicht zuletzt deswegen stehen sie heute an der Spitze der sudanesischen Rebellion. Die Algerier wiederum blicken auf einen zehnjährigen Krieg der Armee mit den islamistischen Radikalen zurück, der 150.000 Tote forderte. Die islamistische Versuchung dürfte in beiden Ländern nicht sehr groß sein.
Andererseits ist der internationale Kontext heute ein ungünstigerer als 2011. Die Demokratie ist global in der Defensive, und starke, autoritäre Führer sind en vogue.
Ob es nun im Sudan und in Algerien ein Happy End gibt oder nicht – sie zeigen jedenfalls, dass die Autokraten in der arabischen Welt nicht ruhig schlafen können; dass das, was viele Menschen im Arabischen Frühling auf die Straße trieb, nach wie vor virulent ist; und dass die Hoffnung auf Freiheit nicht gestorben ist. Trotz allem: Die Arabische Revolution lebt.