Georg Hoffmann-Ostenhof: "Unfranzösische" Revolution
Nein, es werden keine Barrikaden gebaut. Das Volk stürmt auch keine Paläste. Und doch: Das, was die Franzosen erleben, ist eine Art politischer Revolution. Wenn – wie nach dem ersten Wahlgang mit Sicherheit angenommen – Emmanuel Macron in der Stichwahl die rechtsextreme Marine Le Pen schlägt und in zwei Wochen in den Élysée einzieht, dann wird das französische Elektorat einem Mann die Stimme gegeben haben, der noch vor kurzem keine wie immer geartete Chance gehabt hätte. Er könnte „unfranzösischer“ nicht sein.
"Liberal" ist an der Seine ein Schimpfwort. Die Franzosen sind jakobinisch auf den Staat fixiert. Der junge ehemalige Bankmanager und SP-Wirtschaftsminister tritt aber demonstrativ als liberaler Reformer auf.
In Frankreich hat Globalisierung (französisch „Mondialisation“) ebenso wie Liberalismus einen ausgesprochen negativen Beigeschmack. Macron aber präsentiert sich geradezu als Kandidat der Mondialisation. (Er unterstützt zum Beispiel das europäisch-kanadische Handelsabkommen CETA).
Und nicht nur das: Er ist in Frankreich – und wahrscheinlich auch in der übrigen EU – der erste Politiker, der in einem nationalen Wahlkampf die europäische Fahne mit den goldenen Sternen auf blauem Grund schwenkte. Im Land, das so sehr auf seine Souveränität bedacht ist und in Referenden schon mal dem EU-Projekt seine Abfuhr erteilt hat, präsentiert sich Macron als demonstrativ proeuropäisch.
Der erste Durchgang der „Présidentielles 2017“ hat jedenfalls klar gemacht: Die Franzosen haben es endgültig satt, von den immer gleichen Männern und Frauen der beiden sich seit langem gegenseitig blockierenden Lager (Mittelinks und Mitterechts) regiert zu werden. Der aus der Sozialistischen Partei kommende Macron, der sich jedoch als „weder links noch rechts“ bezeichnet, hat mit dieser Selbstcharakterisierung der Grundstimmung im Land Rechnung getragen. Dem allgemeinen Frust der Franzosen hat er darüber hinaus etwas entgegengesetzt, das sich diese nun schon seit Jahrzehnten abgewöhnt zu haben scheinen: Optimismus. Alle vergleichenden Studien zeigen, dass das französische unter den depressivsten Völkern der Welt rangiert.
Sind die Franzosen wirklich bereit, sich mit Macron auf den Reform-Weg zu machen? Oder aber scheuen sie sich letztlich doch, Abschied zu nehmen von jenen heiligen Kühen, die er zu schlachten verspricht?
Wie seinerzeit Barack Obama den Amerikanern, verspricht Macron den Franzosen ein „Yes We Can“. Schon der Name der Bewegung, die Macron er vor einem Jahr gegründet hat und die ihn jetzt an die Schwelle des Élysée-Palastes gebracht hat, drückt schon diese aktive Zuversicht aus: „En Marche!“
In den kommenden Tage wird sich erweisen, ob der Enthusiasmus, den ihm seine Anhänger und Wähler entgegenbringen auch ein wenig jene erfasst, die ihm im zweiten Durchgang bloß die Stimme geben wollen, um Frau Le Pen zu verhindern. In den kommenden Monaten und Jahren wird sich zeigen, ob ihm das gelingt, woran mehrere Politiker vor ihm gescheitert sind: Frankreich jene Modernisierung zu verpassen, die seit langem überfällig ist.
Die Frage steht also: Sind die Franzosen wirklich bereit, sich mit Macron auf den Reform-Weg zu machen? Oder aber scheuen sie sich letztlich doch, von jenen heiligen Kühen Abschied zu nehmen, die er zu schlachten verspricht?
Aussichtslos ist Macrons Unterfangen keinesfalls. Als überaus fähiger Politiker hat er sich bereits erwiesen. Immerhin schaffte er es aus dem Stand, in nur kurzer Zeit zum stimmenstärksten Politiker des Landes zu werden. Und nicht zu vergessen: Er war ja nicht nur Banquier und Minister. Als Philosophie-Student und -Assistent beschäftigte er sich nicht nur mit den deutschen Philosophen Immanuel Kant und Georg Friedrich Hegel. Er arbeitete auch vor allem über den italienischen Denker Niccolò Machiavelli. Dabei hat er offenbar viel gelernt.