Georg Hoffmann-Ostenhof Wider den Überdruss
Wahlen in Deutschland und Österreich: Die Unterschiede sind offensichtlich. Dort triumphieren eine konservative Kanzlerin und ihre christliche Union, hier müssen der Vizekanzler und seine Volkspartei froh sein, nicht total abzustürzen. Dort geht es den Grünen schlecht, hier haben sie den Wind im Rücken. Und dort ist man beunruhigt, wenn es rechte Anti-Europäer beinahe schaffen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Hier hingegen regt kaum groß auf, dass die Parteien, die den Euro abschaffen wollen und Brüssel für alles Böse verantwortlich machen, bis zu 30 Prozent der Stimmbürger hinter sich versammeln können.
Die Unterschiede sind groß. Und doch zeigen sich frappierende Ähnlichkeiten. In beiden Ländern ertönte während der Wahlkämpfe die gleiche Begleitmusik. In Österreich wie in Deutschland wird die große Jeremiade angestimmt: Wie sehr die Demokratie in der Krise stecke, wie erbärmlich und abstoßend die sich präsentierenden Politiker und ihre Parteien und wie verdrossen darob doch die Menschen seien. In einer Coverstory stellte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" kürzlich die Vorsänger dieses Trauerchors vor: Die wachsende Zahl jener gelehrten Philosophen, gewandten Intellektuellen und prominenten Publizisten, die in den Feuilletons und den Talkshows ihre blasierte Politikerschelte an den Mann bringen und mit Ekel auf die aktuelle Politik herabsehen. Sie geben sich überaus gelangweilt. Und gehen vielfach so weit, das Nichtwählen zu propagieren. Das einst Verpönte sei jetzt geradezu "hip", lamentiert das Blatt. Gewiss ist man in Österreich noch nicht so weit: Nur vereinzelt outet sich einer trotzig und wütend in der Öffentlichkeit als Wahlabstinenzler. Der große politische Degout ist aber auch hierzulande in der sogenannten guten Gesellschaft weit verbreitet. Kein Salon, sei er nun bürgerlich oder progressiv, in dem nicht voll Abscheu gegen das so furchtbare Polittheater gewettert wird. Keine Party, auf der man nicht jenen begegnet, die mit Stolz betonen, sich die Wahlduelle im Fernsehen nicht anzusehen und die über die Qual der Wahl bei diesem jämmerliche Polit-Angebot klagen.
In Deutschland kann mit dem Urnengang des 22. September bereits der Wahrheitsgehalt vieler polit-mieselsüchtiger Behauptungen überprüft werden. Und siehe da: Es stimmt nichts. Die feinen Demokratieverdrossenen mögen den Weg zur Urne nicht angetreten haben, die allgemeine Wahlbeteiligung ist aber, entgegen den Voraussagen, nicht zurückgegangen, sondern sogar etwas gestiegen. Kann schon sein, dass man nicht mit Enthusiasmus wählte, aber eine massenhafte Abwendung von der Politik kann wohl nicht konstatiert werden. Auch der seit Jahren prognostizierte Tod der Volksparteien wollte sich nicht einstellen. Die konservative Union schrammte nur knapp an einer Absoluten vorbei.
Und wie sieht es bei uns aus? Ich muss gestehen: Als bekannt wurde, dass im ORF jeder Spitzenkandidat der Parteien gegen jeden antreten und jeder von ihnen seine Parteiclaqueure mitbringen würde, da war ich sicher, dass ein Megaflop des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bevorsteht. Das Publikum würde sich bald belästigt fühlen und auf erfreulichere Sendungen umschalten, nahm ich an. Es kam aber ganz anders. Im Durchschnitt 700.000 Seher gaben sich die vielen Politiker-Fights. Auch die Privatsender freuten sich über hohe Quoten bei Wahlsendungen. Beeindruckend und erstaunlich.
Die Konfrontationen der Politiker hatten durchaus Unterhaltungswert. Auch das alte Vorurteil, dass sich die Parteien ohnehin nicht mehr voneinander unterscheiden, wurde klar widerlegt. In fast allen Bereichen - von Wirtschaft und Steuern bis Pensionen und Bildung - präsentierten die Kontrahenten Perspektiven, die keineswegs austauschbar sind. Man kann nicht sagen, dass man da keine Auswahl hat. Nach diesem Wahlkampf weiß der Österreicher in der Wahlzelle jedenfalls genau, warum er wo sein Kreuzerl macht. Und der neu eingeführte mediale Faktencheck -etwas, was in anderen Ländern längst gängig ist -brachte ein weiteres Stückchen mehr an Rationalität in die österreichische Politik.
Es muss -auch wenn es für hochmütige Politikverächter provokant klingen mag -gesagt werden: Die vergangenen Wochen haben wieder einmal gezeigt, dass wir trotz vielfacher Mediokrität des politischen Personals und trotz mancher Unzulänglichkeit des Systems eine durchaus lebendige Parteiendemokratie haben; dass Demokratie sogar Spaß macht; und dass diese zwar im Wandel begriffen zu sein scheint, aber keineswegs an einer schweren Krankheit leidet, wie uns vielstimmig immer wieder weisgemacht wird.
Auf einen großen Mangel sei freilich hingewiesen: Weder in Österreich noch in Deutschland wurde im Wahlkampf über Europa diskutiert. Erschreckend, wie geradezu obsessiv die Parteien und ihre Vertreter dieses Thema vermieden. Nur die Sozialdemokraten Werner Faymann und Peer Steinbrück wagten, wenn auch zaghaft und nebenbei, über Europa zu reden. Aber es kam nie zu einer echten Debatte. Und so wurden die Leute mit ihren Ängsten, Vorurteilen und den antieuropäischen Populisten allein gelassen.
Ein schwerer Fehler, der sich in Zukunft noch bitter rächen wird.
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