Georg Hoffmann-Ostenhof: Wo das Böse sitzt

Georg Hoffmann-Ostenhof: Wo das Böse sitzt

Georg Hoffmann-Ostenhof: Wo das Böse sitzt

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Zumindest das bleibt uns erspart. Da mag in der österreichischen Flüchtlings- und Asylpolitik so einiges im Argen liegen, da mag man sich für die Zustände in Traiskirchen und für die Unfähigkeit und Gemeinheit, mit der die heimische Politik agiert, schämen. Aber das, was Deutschland nun an fremdenfeindlicher und rassistischer Gewalt erlebt, gibt es hierzulande nicht.

Fast täglich werden in deutschen Städten Molotowcocktails in Wohnungen von Asylwerbern geworfen und Gebäude, in die Flüchtlinge einziehen sollen, quasi präventiv abgefackelt. Neonazis liefern sich regelmäßig mit der Polizei Gefechte. Und es häufen sich die Berichte über Attacken auf Ausländer, die auf offener Straße angepöbelt und malträtiert werden.

Solche Zwischenfälle passieren vereinzelt auch in Österreich. Und wahrscheinlich öfter, als bekannt wird. Dennoch ist offensichtlich, dass sich die Xenophobie in Deutschland weitaus wüster und gewaltsamer austobt als bei uns.

Das ist nicht neu: Auch Anfang der 1990er-Jahre, als Hunderttausende dem Jugoslawien-Krieg in westliche Richtung entkamen, war man in Deutschland schockiert, als reihenweise Asylheime brannten. In Österreich kam Ähnliches kaum vor. Also können wir stolz sein, dass wir „zivilisierter“ als die Deutschen sind? Mitnichten.

Gegen Ausländer wird anders als in Deutschland kaum randaliert. Aber immer mehr Österreicher finden Sympathien für Haiders Nachfolger

Als vor über zwei Jahrzehnten die Flüchtlinge vom Balkan zu uns strömten, bekam die FPÖ Jörg Haiders gewaltigen Auftrieb. Bis Ende der 1990er-Jahre hatte diese Ausländer-Raus-Partei die ÖVP überholt. Zwar leuchteten Lichtermeere gegen die FP-Dumpfheit. Es half aber nur wenig. Die FP trieb die anderen Parteien vor sich her. Das Fremdenrecht wurde immer weiter verschärft.

Auch jetzt: Gegen Ausländer wird anders als in Deutschland kaum randaliert. Aber immer mehr Österreicher finden Sympathien für Haiders Nachfolger. Heinz-Christian Strache hat – zumindest in den Umfragen – seine Partei auf den ersten Platz gehievt. Warum aber reagieren die Deutschen und die Österreicher so unterschiedlich auf Flüchtlinge und Migration?

Zunächst: Rabiater Rechtsradikalismus in Deutschland treibt – nicht nur, aber vor allem – in den ehemaligen DDR-Bundesländern sein Unwesen, dort wo die Menschen in einer Diktatur aufgewachsen sind und nicht jene Liberalisierungsschübe mitmachten, die Westdeutschland und – mit Verspätung – auch Österreich nach 1945 erlebten.

Nicht minder wichtig ist die Tatsache, dass nach der Nazi-Herrschaft die Deutschen einer westlichen – sprich: amerikanischen – „Reeducation“ unterzogen wurden.

Österreich galt aber offiziell als Nazi-Opfer. Bei uns blieb die Umerziehung aus. So wurde – undenkbar in Deutschland – eine Partei der ehemaligen Nazis gegründet, und deren Nachfolgeorganisation, die FPÖ, konnte sich als „normale“ Partei etablieren. Ein deutscher Haider oder ein deutscher Strache – solche Typen, würden es nicht einmal in die Nähe des Bundestags schaffen.

Was in Deutschland als rabiates Marginalphänomen angesehen wird, für das letztlich die Polizei zuständig ist, drängt in Österreich kraftvoll in die gesellschaftliche und politische Mitte

Die Politik, für welche die FPÖ in Österreich breite Zustimmung findet, ist in Deutschland seit eh und je an den extremen Rand gedrängt, wo sie sich jetzt gewaltsam entlädt. „Es muss in Österreich keiner auf die Straße gehen, um sich Gehör zu verschaffen“, schreibt Oliver Pink in der „Presse“: „Es reicht, wenn er ein Kreuz bei der FPÖ macht.“ Gut beobachtet. Was aber heißt das?

Was in Deutschland als rabiates Marginalphänomen angesehen wird, für das letztlich die Polizei zuständig ist, drängt in Österreich kraftvoll in die gesellschaftliche und politische Mitte. So gesehen kann man die Deutschen nur beneiden. Die mögen über ihre widerlichen Neonazi-Exzesse erschrecken. Bei uns aber wird es richtig ungemütlich.

Nehmen wir Außenminister Sebastian Kurz. Der ist bekanntlich der beliebteste Politiker im Land und hat sich als Staatssekretär für Integration zu Recht einen guten Ruf erworben. Nun trat Kurz am Mittwoch vergangener Woche in der „ZIB 2“ auf und erklärte, er verstehe die Ungarn, wenn sie einen Zaun gegen die Flüchtlinge errichten. Finde die EU in der Asylpolitik keine Lösung, „dann sind Staaten ja gezwungen, Einzelmaßnahmen zu setzen“. Auch Österreich werde in diesem Fall handeln, droht Kurz: „Wesentlich intensivere Grenzkontrollen“ seien anzudenken. Auch „Kürzung von Sozialleistungen für Flüchtlinge“. In „Blitzverfahren“ sollte dann festgestellt werden, ob der Asylwerber nicht durch ein sicheres Land nach Österreich gekommen sei.

Dass Griechenland die Flüchtlinge einfach ins benachbarte Mazedonien „durchwinkt“, geißelte er als „beschämend“ – wohl wissend, dass auch Österreich den Asylsuchenden den Weg zur bayerischen Grenze weist. Aber: Griechenland-Bashing kommt halt immer gut an. Ach, Sebastian!

Während Kurz also mit einer Verschärfung der Asylpolitik drohte, setzte die deutsche Regierung die Dublin-Regelung, wonach Asylwerber in das Ersteinreiseland zurückgeschickt werden, für Syrer aus. Deutschland heißt also jene, die dem Gemetzel in Aleppo und Damaskus entkommen sind, willkommen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner reagierte prompt: Das Aussetzen von Dublin kommt für Österreich nicht infrage.

Und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, gewiss nicht der Gutmensch vom Dienst in der Berliner Regierung, verkündet, dass die steigenden Flüchtlingszahlen für Deutschland durchaus zu bewältigen seien und er den Ländern und Gemeinden dafür selbstverständlich zusätzliches Geld vom Bund zukommen lassen werde. Hat man Ähnliches von Hans Jörg Schelling gehört? Eben nicht.

Georg Hoffmann-Ostenhof