Der Maschinist

Die Milliarden-Dollar-Wette

Warum zu viel Geld bei einer Wette kein Problem ist und Kopfhörer genauso viel wert sind wie der ganze KI-Markt.

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Auch wenn wir derzeit bei einigen Tech-Unternehmen einen kleinen Rückschlag erleben, lesen wir jede Woche von der nächsten großen Finanzierungsrunde, bei der es oft nicht mehr um ein paar Millionen, sondern um Hunderte von Millionen geht. Wohin dieses Geld fließt und was sich die Investoren davon versprechen, ist eine spannende und berechtigte Frage. Natürlich fließt auch zunehmend Kapital in KI-Anwendungen wie Harvey, den KI-Rechtsanwalt, oder an Stability.ai, ein Text-zu-Bild-Unternehmen, aber bei Weitem nicht in so großen Runden wie bei KI-Modellen und Infrastruktur.

So geht es bei diesen großen Runden immer um die Entwicklung von Foundation-Modellen, manchmal auch um den Ausbau der zugrunde liegenden Infrastruktur. Bestes Beispiel ist die Übernahme von Silo.ai, einem der führenden europäischen KI-Unternehmen, das seine Anwendungen und KI-Modelle speziell für AMD-Hardware entwickelt hat und deshalb vom Chiphersteller AMD übernommen wurde, um sich im Kampf gegen NVIDIA zu verstärken. 

In unserer KI-News-Blase auf LinkedIn oder Medien wie dem „Handelsblatt“ dominieren die Hersteller von Foundation-Modellen und -Infrastrukturen. Sei es das neue Supermodel Claude 3.5 Sonnet des amerikanischen Herstellers Antrophic, das gerade das neueste Modell GPT 4o des ChatGPT-Herstellers OpenAI in den Benchmarks übertroffen hat, oder die beschriebenen Übernahmen der europäischen AI Labs des amerikanischen Chipherstellers AMD, um NVDIA Paroli zu bieten. 

Ja, zwischen den Zeilen ist vielleicht noch eine andere Botschaft zu erkennen, nämlich dass das Ruder beinahe vollständig von US-Unternehmen übernommen wurde, die auch noch die wenigen aufstrebenden europäischen KI-Unternehmen übernehmen oder integrieren.

Alles in allem werden hier gerade Milliarden investiert, und es ist mehr als spannend zu sehen, wie sich diese Milliarden wieder zurückverdienen lassen. Der Vergleich mit dem Internet in den 1990er-Jahren hinkt, denn während das Internet ein neu entstandenes Netzwerk war und  selbst neue Möglichkeiten bot, ist es bei der KI anders, nämlich eine völlig neue Basistechnologie.

Gerade werden Milliarden in KI investiert. Aber lassen sich diese Milliarden auch wieder zurückverdienen?

Die Investitions-Wette wird auch immer größer, wenn man sich die Marktzahlen genauer ansieht. Allein Accenture hat nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr eine Milliarde an KI-Consulting-Aufträgen erhalten.  OpenAI hat im vergangenen Jahr rund 1,7 Milliarden  Umsatz gemacht und wird das in diesem Jahr wohl verdoppeln. Das ist schon ein starkes Stück, wenn man, grob hochgerechnet, mehr Umsatz mit Beratung als mit Technologie macht. Ja, wir stehen am Anfang, aber wie groß ist der Anfang jetzt schon?

Die Kommunikation über KI ist weitaus größer als der Markt für entsprechende Technologien und Dienstleistungen. Der „Economist“ prognostiziert, dass KI den Marktführern Alphabet, Amazon und Microsoft 2024 einen Umsatz von 20 Milliarden Dollar bescheren wird. Das klingt nach einer Menge Geld. Das sind aber nur zwei Prozent ihres gemeinsamen Umsatzes. Apple macht allein mit seinen AirPods 20 Milliarden US-Dollar Umsatz. Kommerziell ist der KI-Markt also so viel wert wie kleine weiße Bluetooth-Kopfhörer.

Stehen wir vor der Internetblase 2.0? Nein, die wenigsten Wetten sind aufgegangen, aber das ist einkalkuliert. Warum also positiv in die KI-Zukunft blicken? Ganz einfach, weil wir noch viel zu wenig über die richtig genialen Unternehmensanwendungen sprechen, die auf KI basieren, bei denen aber die Geschäftslogik und der Nutzen viel wichtiger sind als die Frage, welches Foundation-Modell dahintersteckt. Als 1994 mit Netscape und kurz darauf mit dem Internet Explorer das Internet explodierte, gründete ein damals unbekannter Jeff Bezos unbemerkt von der Öffentlichkeit einen Online-Buchhandel namens Amazon.  Nachdem er über das neue Internet gelesen hatte, machte er sich eine Liste von 20 Produkten, die möglicherweise über das Internet verkauft werden könnten, und dachte sich, dass Bücher die beste Wahl sind. 

Er hat nicht über HTTP, FTP, HTML oder anderen technologischen Themen gesprochen und mit seinen Kunden darüber diskutiert. Er hat einfach Bücher online verkauft.

Gerhard Kürner

Gerhard Kürner

ist als Gründer von 506.ai Experte für künstliche Intelligenz. profil entführt er in seiner Kolumne „Der Maschinist“ ein Mal pro Monat in die technologische Zukunft.