Der Maschinist

Go to the Max

Wie man die Möglichkeiten der KI auf die Spitze treiben kann und was wir von einem Astronomen aus Bozen in Sachen Besessenheit lernen können.

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Die wunderbar saloppe Aussage „Go to the Max“, also etwas auf die Spitze treiben, verfolgt mich schon lange, aber in letzter Zeit immer intensiver. Jedoch nicht, wie man meinen könnte, weil wir uns durch eine Zeit multipler Krisen kämpfen. Aus meiner Sicht würde ich die Situation einfach und bildhaft so übersetzen, dass wir uns in einem Stadium des multiplen Organversagens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft befinden. Aber um diesen negativen Ausblick geht es nicht, solche Szenarien gab es auch schon vorher. „Go to the Max“ ist für mich nämlich nicht nur das Synonym, an etwas zu glauben und dafür zu arbeiten, sondern vielmehr, von einer Sache besessen zu sein, sie voranzutreiben, ohne Rücksicht auf andere.

Der im Jahr 1885 in Bozen geborene österreichische Astronom Max Valier schaffte es auf dramatische Weise, ein Wegbereiter der Raketenentwicklung und zugleich das erste Opfer einer Rakete zu werden. Besessen von einem Thema, ständig auf der Suche nach Partnern, Geld, Technologie, trieb er das Thema in jeder Hinsicht voran. Am bekanntesten ist das erste Raketenauto der Welt, der Opel RAK1, an dessen Planung er beteiligt war. Parallel dazu trieb er die Entwicklung von Raketen mit aller Kraft voran, was ihm auch einen unrühmlichen Eintrag einbrachte, denn einer der von ihm getesteten neuen Raketenantriebe explodierte.

Warum ist es gerade jetzt so wichtig, ein Thema auf die Spitze zu treiben? Max Valier hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass eine Rakete wie Elon Musks Starship mehr als 270 der damaligen Ford-T-Autos auf einmal in den Weltraum befördern und wieder auf der Erde landen könnte.

Genau so geht es uns mit der neuen Technologie der künstlichen Intelligenz. Während die große Masse die ersten Texte schreibt, Bilder erzeugt und mathematische Fragen stellt, gibt es einen kleinen Kreis von Menschen, die wie Max Valier darüber nachdenken, was noch alles möglich ist. Vergessen wir den Ford T ebenso wie Elon Musks Starship-Raketen. Denn auch das ist immer noch viel zu kurz gedacht.

KI wird vieles verändern, was wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Aber eines ist klar: Die Maschinen, wie wir sie kennen, werden sich radikal wandeln, allen voran die Software, die Computer antreibt. Die Architektur von Betriebssystemen wie Windows, Apple OS oder Android ist in den vergangenen 40 Jahren fast gleich geblieben.

Vergessen wir den Ford T ebenso wie Musks Starship-Raketen. Das ist noch viel zu kurz gedacht.

Gerade diese Betriebssysteme sind aber die Grundlage für sehr viele Geräte und Maschinen, die wir auch abseits von Computer und Handy tagtäglich nutzen, daher wird sich der Einschlag hier am brutalsten auswirken.

Schauen wir uns einmal an, was LLMs (Large Language Models) heute schon alles können. Sie können Texte lesen und generieren, das Internet durchsuchen, Bilder verstehen und generieren und seit Neuestem auch Sprache direkt verstehen und wiedergeben. Wenn wir jetzt die nächsten Schritte hinzufügen, wird es noch spannender. Bald wird es auch möglich sein, Informationen nicht nur über einen längeren Zeitraum zu speichern und wieder abzurufen, sondern auch sehr viele Informationen aktuell zu halten. Der nächste Schritt ist, dass sie sich selbst laufend verbessern können und die Bestätigung bekommen können, ob es richtig oder falsch war. Damit kann man die LLM ganz einfach für bestimmte Tätigkeiten besser „fine tunen“ oder, anders gesagt, anlernen. Wenn dann am Ende ein LLM auch noch mit einem anderen kommunizieren kann, dann hat sich der Computer, wie wir ihn bisher kannten, in Luft aufgelöst.

Wenn der Computer, wie wir ihn bisher kannten, nicht mehr existiert, dann wird es gravierende Veränderungen in allen Bereichen geben, die auf genau diesem Computer aufbauen. Deshalb ist „Go to the Max“ wichtiger denn je und damit die Frage: Wo sind die neuen Max Valiers, die sich auf unsicheres Terrain wagen und daran glauben, dass sie etwas bewegen, verbessern und entwickeln können, was andere noch nicht gemacht haben?

Lassen wir also die Krisen beiseite, konzentrieren wir uns auf die Möglichkeit, neue Technologien und Entwicklungen voranzutreiben. Ja, das reicht, man muss nicht immer die Welt retten oder der nächste Milliardär werden.

Konzentrieren wir uns besser auf die Chance, neue Technologien und Entwicklungen voranzutreiben. Es muss mehr Raum geben, in dem Ehrgeiz, Besessenheit und Risiko ein Thema befeuern, das nicht direkt mit den aktuellen Krisen zu tun hat. Viele technologische Entwicklungen wurden nicht für den Endkonsumenten erfunden, sondern weil es Menschen gab, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Grenzen zu verschieben. Wer wollte schon ein Raketenauto in einer Zeit zwischen den Weltkriegen, in der sich nur sehr wenige überhaupt ein normales Auto leisten konnten?

Vielleicht sind es gerade Sie, der diesen inneren Drang verspürt, etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes zu tun. Vielleicht sind Sie sich nicht sicher, ob Sie es können. Dabei erhalten Sie fragwürdige „Unterstützung“ von anderen, die Sie davon abhalten wollen, weil eben nicht ersichtlich ist, wie man damit reich, berühmt oder zum Weltretter wird.

Dazu gebe ich Ihnen den wichtigsten Ratschlag, den ich selbst seit über 40 Jahren immer wieder bestätigt bekommen habe: Pfeifen Sie drauf. Go to the Max.

Gerhard Kürner

Gerhard Kürner

ist als Gründer von 506.ai Experte für künstliche Intelligenz. profil entführt er in seiner Kolumne „Der Maschinist“ ein Mal pro Monat in die technologische Zukunft.