profil-Kolumnist Rainer Nikowitz
Rainer Nikowitz: Satire

Grünen-Chef Werner Kogler hat ein Problem mit der Opposition

Die Grünen werden von links für ihren Koalitions-Pragmatismus gescholten. Da machen wir natürlich auch mit. Höchste Zeit für mehr Wolkenkuckucksheim!

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Grünen-Chef Werner Kogler hat ein Problem. Und zwar mit der Opposition. Die sitzt, wie bei den Grünen üblich, in den eigenen Reihen – und mag jetzt nicht mehr länger zusehen. Und zwar bei diesem elenden Pragmatismus, den Kogler in der gemeinsamen Regierung mit Türkis an den Tag legt. Der geht ja gar nicht. Viel zu lange musste die Basis jetzt schon hinnehmen, dass er – und mit ihm auch Klubobfrau Sigrid Maurer – ihre überlegene Position innerhalb der Koalition nicht dazu benützt, mit der ÖVP Schlitten zu fahren. Und also das grüne Parteiprogramm Punkt für Punkt auch gegen den Willen des zumindest moralisch viel kleineren Partners durchzusetzen.

Man wirft ja den Rechten sehr gern vor, dass ihre Politik eigentlich nur Gefühle bedient. Und zwar niedrige. Da ist jener Teil der heutigen Linken, der sich selbst ganz heftig als Avantgarde versteht, natürlich viel besser. Klar, es geht dort auch nur um Gefühle. Aber doch bitte um lauter hochstehende! Und denen verweigert sich Kogler laufend, seit er Vizekanzler ist. Dabei würde ihm Annalena Baerbock in Deutschland doch gerade in Echtzeit sehr anschaulich vorführen, wie man das macht. 

Jetzt kulminiert dieses schreckliche Versagen gerade in der Frage, welche Haltung man zu Afghanistan einnimmt. Oder besser gesagt: einzunehmen hat. Denn wie so oft in diesen bis an die Zähne mit Liberalität bewaffneten Kreisen gibt es ja natürlich nur eine. Die richtige. Und jede Abweichung muss sofort geahndet werden. Folgerichtig wurde Kogler auch für seinen Auftritt in den ORF-Sommergesprächen heftig gescholten. „Geschwurbelt“ habe Kogler, als es um Afghanistan ging. Und bewiesen, „dass die Grünen mittlerweile politisch kaum noch schmerzempfindlich sind“, befand der „Standard“, also das Zentralorgan der Gefühlslinken. Dabei will doch zum Beispiel Hamburg 200 Gerettete sofort und unbürokratisch aufnehmen! 2!0!0! Vom Posterboy der „Je suis Kabul – oder was sonst gerade in meiner Timeline als aktuelles Betroffenheitsgebot aufpoppt“-Fraktion Justin Trudeau in Kanada noch gar nicht zu reden. 20.000 Afghanen will er in sein Land lassen! Und zwar in ein Land, das flächenmäßig gerade einmal 120 Mal so groß ist wie Österreich! Aber was macht Kogler? Nichts! Will offenbar eisern auf den nur 44.000 Afghanen, die in Österreich leben, sitzen bleiben! „Die österreichischen Grünen haben bis jetzt offiziell nicht einmal eine konkrete Forderung formuliert!“, empört sich der „Standard“ folgerichtig. 

In diese von Kogler hinterlassene, schmerzbefreite Lücke – also keine Forderung zu stellen, die null Chance auf Umsetzung hat – stießen aber dann zum Glück eh andere vor. Besonders progressiv zeigte sich dabei die grüne Integrationssprecherin Faika El-Nagashi, die postulierte: „Eigentlich müssten alle Menschen außer den Taliban aus Afghanistan evakuiert und über humanitäre Aufnahmeprogramme in Sicherheit gebracht werden!“ Wie das mit Venezuela, Kuba, Haiti, allen Maghreb-Staaten, Irak, Iran, dem gesamten Afrika südlich der Sahara, Burma, Nordkorea oder China ist, teilte sie uns zwar nicht mit, aber wurscht. Dafür gibt es im rhetorischen Kunstturnen trotzdem eine glatte 10,0 im Twitter-Sesselkreis, in dem man ja meist damit beschäftigt ist, der zum Glück exakt genauso denkenden Vorderperson permanent so heftig auf die Schulter zu klopfen, dass sich manchmal ein kleines Hämatom bildet. Man muss ja schließlich als Aktivist:in auch dorthin gehen, wo es wehtut! Weiters warf El-Nagashi dem politischen Gegner – also der ÖVP – vor, nur „Phrasen zu dreschen“. Und sie erkennt eine Phrase, wenn sie eine sieht! 

Apropos Phrasen. Es gab vergangene Woche auch eine Afghanistan-Demo in Wien, auf der ähnliche Forderungen erhoben wurden, ungefähr 1500 Menschen nahmen teil, offenbar überwiegend Frauen. Auch viele Afghanen waren dabei. Leider gab es dort aber unschöne Zwischenfälle, auf die aber zum Glück seitens der Organisator:innen schnell reagiert wurde. Also mahnte eine Moderatorin auf der Bühne: „Weiße Personen“ im Demo-Zug möchten doch bitte „aufhören, Bier zu trinken!“ Was für empörender Fall von Alltagsrassismus! Also, von den Biertrinkern natürlich. Denn ich lehne mich jetzt ein Stück weit aus dem Fenster und behaupte ganz altmodisch binär, dass die wohl überwiegend männlich waren. Es gibt ja noch so viel zu tun! 

Generell wird von ganz linker Seite beklagt, dass es langsam eigentlich keinen Unterschied mehr mache, ob die Grünen oder die Blauen in der Regierung seien. Nun, das lässt sich leicht verifizieren. Lassen wir einfach zu, dass sich 2015 wiederholt. Oder noch besser: Fördern wir es aktiv. Dann ist die FPÖ auf einen Schlag wieder dort, wo sie vor Ibiza war. Wahrscheinlich sogar noch weiter oben, wenn man die in der Zwischenzeit eingetretene leichte Verblassung der Strahlkraft von Sebastian Kurz ins Kalkül zieht. Und dann? Ach so, ja. Dann kann man wenigstens wiederum wortreich beklagen, was für ein schrecklich reaktionäres Land Österreich denn nicht ist und auf Twitter endlich wieder in ungehinderter Schönheit sterben. Und was wäre wichtiger als das?

Rainer   Nikowitz

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