Leitartikel

Hallo, ist da jemand?

Ein Ex-Verfassungsschützer soll unter den Augen der Justiz jahrelang für Russland spioniert haben. Konsequenzen? Fehlanzeige. Putin lacht sich ins Fäustchen.

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Der Fall Ott klingt wie ein besonders plumper Agentenfilm. Ein Ex-Verfassungsschützer soll jahrelang für Russland spioniert und verschlüsselte Laptops, wie sie Sicherheitsbehörden benutzen, an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB verkauft haben. Dort soll er auch gestohlene Handys von den höchsten Geheimnisträgern des Staates abgeliefert haben.

Mehr noch: Er soll mit einem Zuträgernetzwerk von Beamten aus dem In- und Ausland höchst sensible Personenabfragen gemacht haben, die Menschen mitunter in Lebensgefahr brachten. Ott soll mit seinen „Informationen“ maßgeblich an der Affäre rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung beteiligt gewesen sein, indem er Falschinformationen bei der Justiz und der FPÖ gestreut haben soll. Es mündete in einer Razzia im Herzen des Sicherheitsapparats. Die Vorwürfe lösten sich alle in Luft auf. Was bleibt, ist ein großer Schaden für die zu Unrecht Beschuldigten und den Staat. Ott und Freunde sollen für Geld für den flüchtigen Wirecardboss Jan Marsalek gearbeitet haben, der im dringenden Verdacht steht, seit einem guten Jahrzehnt als Agent für Putin tätig zu sein. Was man in den akribischen Ermittlungsakten der SOKO Fama nachlesen kann, ist ein echter Skandal.

Aber der noch viel größere ist, dass die Bande all das unter den Augen der Justiz tun konnte. Seit sieben Jahren sind die Kernvorwürfe gegen Ott bekannt. 2017 gab es bei ihm die erste Hausdurchsuchung, nachdem die Amerikaner Hinweise auf Russlandspionage machten. Die Razzia wurde übrigens von jenen Bundeskriminalamtsbeamten durchgeführt, die Ott mit verleumderischen Mitteln loszuwerden versuchte. Er beschoss sie mit Vorwürfen der Parteilichkeit und Freunderlwirtschaft, unterstellte Amtsmissbrauch, legte Dossiers über sie und ihre Familien an. Die Politik, ja ein ganzer U-Ausschuss, den Ott im Hintergrund mit „Informationen“ versorgte, fiel bestenfalls auf die Lügen herein. Im Fall der FPÖ spielte man bereitwillig mit. Die Masche war erfolgreich: Es führte so weit, dass sich die fallführenden Kriminalbeamten für befangen erklären mussten und sich zurückzogen. Unterstützung erhielt die Truppe von niemandem. Beamte haben keine Lobby.

Das alles liest sich heute in den umfassenden Ermittlungsakten – ob der verdienstvollen Arbeit der Kriminalisten der SOKO Fama kann man nur den Hut ziehen. Aus dem Akt ist auch ersichtlich, dass die Justiz – trotz mehrfacher Maßnahmengesuche wie U-Haft oder Razzia – einfach nichts tat. Warum, das wird aufzuklären sein.

Ott und Konsorten konnten daraus nur eine Lehre ziehen: Von der Justiz hierzulande hatten sie nicht viel zu befürchten. Anders ist nicht zu erklären, warum Ott ein Jahr, nachdem er bereits in U-Haft gesessen war (wieder laufen gelassen wurde) und die Vorwürfe medienöffentlich bekannt waren, dem FSB weiter Informationen verkauft haben soll. Man fühlte sich offenbar sehr sicher, die Justiz war keine Bedrohung. Weder Dienst- noch Fachaufsicht kümmerten sich um die lahmen Ermittlungen. Auch die grüne Justizministerin Alma Zadić nicht um Fortschritte.

Dafür kooperierte die Justiz teils freundlich mit Ott und Konsorten. Ott tauschte etwa rund um die BVT-Affäre munter WhatsApp-Nachrichten mit der zuständigen Staatsanwältin Ursula Schmudermayer aus. Seit wann kann irgendjemand in laufenden Verfahren am offiziellen Weg vorbei mit Staatsanwälten chatten? Seit wann teilen die Telefonnummern aus?

Konsequenzen? Null. Im Gegenteil, Schmudermayer wurde sogar befördert – und darf sich nun oberste Korruptionsaufklärerin der EU nennen.

Otts Kompagnon, Martin Weiss, wurde wie Ott nach einer Verhaftung rasch wieder auf freien Fuß gesetzt. Er reiste mit dem Wissen der Justiz nach Dubai. Dort ist er seitdem und kommt nicht wieder. Konsequenzen?

Dynamik in die Ermittlungen kam – wieder einmal – erst, als der internationale Druck stieg. Dieses Mal waren es die Briten, die erst vor Kurzem höchst kompromittierendes Material in Österreich ablieferten. Erst dann wurde einem U-Haft-Gesuchen gegen Ott endlich stattgegeben. Vielleicht wird er irgendwann doch angeklagt. Vielleicht verurteilt. Aber selbst wenn, die Höchststrafe beträgt fünf Jahre. Der Verrat von Landesgeheimnissen liegt bei zehn Jahren. Ein Witz, angesichts des angerichteten Schadens.

Es braucht dringend neue Gesetze und härtere Strafen. Dafür muss die Politik das Thema Spionage aber auch endlich ernst nehmen, die Justiz sie sehen und als solche begreifen. Nur so kann der Westen endlich die nötige Resilienz gegen Putin entwickeln, der nicht immer nur mit Waffen und Panzern kämpft.

Wir befinden uns mit Russland bereits im Krieg. Benennen wir es endlich so.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.