Eva Linsinger
Leitartikel von Eva Linsinger

Hallo Regierung, ist da jemand?

Türkis-Grün ist abgetaucht und gibt die Feelgood-Koalition. Für Corona-Wirrwarr und niedrige Impfrate fühlt sich niemand verantwortlich.

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Endlich! Der Wahlkampf in Oberösterreich ist vorbei. Nein, er war weder besonders untergriffig, platt oder sonst wie widerwärtig. Aber: Er diente der Regierung in Wien als hochwillkommener und plumper Vorwand, in Ruhe abzutauchen und so wenig wie möglich aufzufallen, schon gar nicht durch Politik. Nur nicht anecken, keinesfalls Probleme ansprechen, ausschließlich gute Nachrichten in Richtung Oberösterreich senden, bloß die Feelgood-Regierung geben – zu mehr Aktivität konnte sich Türkis-Grün nicht aufraffen. Höchste Zeit, diese Phase mit der Auszählung der Stimmen in Oberösterreich und Graz zu überwinden!


Denn Bundeskanzler Sebastian Kurz hat zwar bereits mehrmals mit großer Geste die Corona-Zeit für beendet erklärt – blöderweise lässt sich die Pandemie davon wenig beeindrucken. Gefragt wäre entschlossenes Krisenmanagement wie jenes zu Beginn der Corona-Krise, für das die Koalition zu Recht viel Lob und Respekt einheimste (bei allen Fehlern im Detail). Davon ist wenig übrig geblieben. Das virologische Quartett ist untergetaucht, Krisenkapitän Kurz hat sich schon länger nicht mehr auf der Kommandobrücke blicken lassen, den Herbst und den Schulbeginn hatte keiner auf dem Kalender, für Planungen fühlte sich offenbar niemand zuständig, die vierte Corona-Welle scheint die Regierung völlig am falschen Fuß erwischt zu haben. Was machen der Bildungs- und der Gesundheitsminister eigentlich beruflich?


Selbst notorische Alleswisser wie der Politologe Peter Filzmaier, der alle Wahlergebnisse seit den 1990er-Jahren im Schlaf herunterrattern kann, gestehen freimütig, dass sie im Corona-Wirrwarr den Überblick verloren haben und einen Schwindelzettel brauchen, um zu wissen, welche G- und welche Masken-Regel gerade wo gilt. Wie sollen sich dann erst Menschen auskennen, deren Beruf nicht daraus besteht, sich mit Politik zu beschäftigen?


Für sie klingt es zusehends wie Hohn, wenn der Bundeskanzler gebetsmühlenartig treuherzig versichert, die „Pandemie ist für Geimpfte vorbei“. Denn das stimmt einfach nicht. Nicht für Eltern, deren Schul- oder Kindergartenkinder jederzeit mit Quarantäne rechnen müssen, nicht für deren Arbeitgeber, nicht für Lehrerinnen und Lehrer, nicht für jene, deren Operationen schon wieder verschoben werden, nicht für Menschen in Gesundheitsberufen, die zusehends entnervt gegen die vierte Welle ankämpfen, nicht für viele andere.

Glatte Wohlfühlslogans und platte PR-Botschaften werden daran wenig ändern, eine höhere Impfrate hingegen schon. Italien exerziert gerade vor, wie energische und klare 3G-Vorschriften am Arbeitsplatz die Impfzahlen in die Höhe treiben – hierzulande delegiert die Regierung das heikle Thema 3G am Arbeitsplatz an die Sozialpartner. Auch eine Methode, mit Anlauf kein Leadership zu zeigen. Nur nicht aus der Rolle der Feelgood-Regierung fallen! Liebes Wahlvolk, bitte weitergehen. Hier gibt es nichts zu sehen, schon gar keine Pandemie. Die ist vorbei!

Der Effekt dieses geballten Schönredens, begleitet von schallendem inhaltlichen Schweigen, ist am Schneckentempo der Impfungen abzulesen: Es liegt sogar unter dem pessimistischsten Worst-Case-Szenario der Experten, Österreich trudelt anderen westlichen EU-Staaten weit hinterher und droht auf die hochnotpeinliche Schlusslicht-position abzurutschen. Politische Verantwortung dafür will keiner übernehmen, nicht Kanzler Sebastian Kurz, der Impfen vor ein paar Monaten noch großspurig zur „Chefsache“ erklärte, nicht Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. Staaten wie Frankreich zeigen, wie effektvolle Kampagnen und beherzte Regierungschef-Reden die Impfbereitschaft ankurbeln – in Österreich zaudert und zögert die Regierung. Pst, Oberösterreich ist Impfschlusslicht, lieber keine klaren Worte finden! Wir sind die Feelgood-Regierung!
„Chef“ will beim Impfen schon länger niemand mehr sein – nur einen Schuldigen für die Impfnachzügler-Rolle präsentiert Türkis-Grün: die FPÖ, wen sonst. Das passt zwar zur Schuld-sind-immer-die-anderen-Methode – am Corona-Schlamassel schuld waren bisher  schon die EU-Bürokraten, die Urlauber, die Partygänger, die Wiener, die Reiserückkehrer, die Migranten –, ist aber reichlich billig. Keine Frage: Die FPÖ verzapft beim Thema Corona hanebüchenen Unfug, verbreitet gefährliche Verschwörungstheorien und befeuert Ängste vor der Impfung. Nur: Sie allein soll schuld sein am blamablen Status quo von Impfrate und Corona-Chaos? Und die Regierung hat keinerlei Verantwortung dafür, weil sie als Feelgood-Regierung nur für gute Nachrichten zuständig ist?


Die Ausrede, dass in Oberösterreich und Graz Wahlkampf ist, die Regierung daher keine Probleme anpacken kann, klang schon bisher überaus mau. Jetzt aber hat Türkis-Grün gar keine Ausrede mehr.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin