Herbert Lackner Der Ausweg
Schwer zu sagen, welche der beiden Großparteien mehr zum spektakulären Scheitern der Wehrdienstdebatte beigetragen hat. Die SPÖ hat sie kurz vor den Wiener Wahlen panisch und unvorbereitet vom Zaun gebrochen, um vielleicht noch ein paar Prozentpünktchen gutzumachen und der Kronen Zeitung zu gefallen. Die Sozialdemokraten haben es dabei in Kauf genommen, den eigenen Verteidigungsminister, der noch Stunden zuvor eine diametral andere Meinung in dieser zentralen Frage vertreten hatte, zur lächerlichen Figur zu degradieren. Dass man selbst den Bundespräsidenten immerhin der Oberbefehlshaber des Heers nicht vorinformiert hatte, weist auf ein gewisses Verkommen der Sitten bei den Sozialdemokraten hin. Die sehr selektiven Berechnungsmethoden der verschiedenen Varianten und der Hinauswurf des kritischen Generalstabschefs sind nur die Folgen einer von Beginn an doppelbödig angefahrenen Kampagne.
Dabei wäre alles so einfach gewesen: Die SPÖ hätte dem Koalitionspartner und der Öffentlichkeit in guter Zeit vor oder nach den Wiener Wahlen darlegen können, warum auch Österreich seine Armee angesichts der neuen Weltlage professionalisieren sollte, wie ein freiwilliger Sozialdienst zu gestalten wäre und was das alles kostet. Gut möglich, dass man dann schon auf einen grünen Zweig gekommen wäre.
Auch die ÖVP hat in der Debatte denkbar dusselig agiert. Nachdem die SPÖ ihren Kurswechsel via Kronen Zeitung präsentiert, wenn auch nicht erklärt hatte, reagierte die Volkspartei reflexartig und daher falsch. Just jene Partei, die sich immer wieder für die Einführung eines Berufsheers starkgemacht hatte und dabei von den Roten abgeschmettert worden war, schwang sich nun zur entschlossensten Verteidigerin der Wehrpflicht auf. Kurioserweise bediente sich die ÖVP dabei genau derselben Argumente, mit denen die Sozialdemokraten eben noch gegen die schwarzen Berufsheerpläne angerannt waren: Eine demokratische Armee müsse doch im Volk verwurzelt sein, mahnte sie, das Heer dürfe nicht irgendwelchen schießwütigen Abenteurern überantwortet werden. Man wartete nur noch darauf, dass Josef Pröll mit bebender Stimme das Beispiel des 34er-Jahrs und danach den Vorteil eines Volksheers beschwören würde, wie dies die SPÖ rituell an jedem 12. Februar tut.
Verkehrte Welt! In solcher Beliebigkeit verkommt Politik zur Farce: Ob man das eine oder genau das Gegenteil davon behauptet, ist bloß eine Frage des Zeitpunkts. Die Wahrheit sei eine Tochter der Zeit, zitierte der damalige ÖVP-Klubobmann Andreas Khol den alten Römer Aulus Gellius und wurde dafür arg gescholten. In der Wehrpflichtdebatte ist das zynische Motto längst Leitmotiv.
Wie bei der SPÖ folgten auch bei der Volkspartei dem missglückten Eröffnungszug viele weitere Fehler. Inzwischen sind ihre Positionen kurios: Ihr eigenes Konzept will sie trotz mehrfacher Ankündigungen immer noch nicht bekannt geben, obwohl sie angeblich eines hat. Frühestens im Herbst will die ÖVP neckisch die Schleier etwas lüpfen. Wenn überhaupt.
Womit die Regierung wie so oft in einer Sackgasse steckt. Eine Volksbefragung, vor der die Koalitionspartner monatelang aufeinander einprügeln und die dann bei geringer Beteiligung womöglich denkbar knapp ausgeht, wäre eine Megakatastrophe, die die Regierung Faymann/ Pröll hinwegspülen würde. Wer die dann fällige Nationalratswahl gewinnt, lässt sich denken.
Die SPÖ hat sich allerdings so weit aus dem Fenster gelehnt, dass sie das Thema nicht mehr einfach so lange abreifen lassen kann, bis es die Medien langweilt. Der ÖVP wiederum wäre genau das am liebsten.
In dieser verfahrenen Situation geht es beiden Parteien in Wahrheit nur noch darum, nicht das Gesicht zu verlieren. Die Zahl der möglichen Varianten ist naturgemäß gering: Entweder es bleibt bei der
Wehrpflicht, oder sie wird aufgehoben. Tertium non datur ein Drittes gibt es nicht.
Oder doch? Ein Weg wäre denkbar: Die allgemeine Wehrpflicht wird nicht abgeschafft, sondern nur befristet ausgesetzt. Nach, sagen wir, drei Jahren wird evaluiert, wie viele Freiwillige wirklich rekrutiert werden konnten, ob das neu einzurichtende Sozialdienstsystem funktioniert und wie viel die Umstellung tatsächlich kostet. Die Entscheidung, die Wehrpflicht unbefristet auszusetzen oder den Status quo ante wieder herzustellen, könnte dann auf der Basis unbestreitbarer Tatsachen getroffen werden. Das Argument, es gäbe nach Aussetzen der Wehrpflicht keinen Weg zurück, kann nicht stimmen, da ja auch bisher schon nicht deren Abschaffung, sondern wie auch in Deutschland bloß ihr Aussetzen zur Debatte stand.
Für die SPÖ müsste diese Variante annehmbar sein: Die Wehrpflicht ist ja weg, zumindest vorerst. Die ÖVP kann mit Fug und Recht behaupten, sie habe die Beseitigung der Wehrpflicht verhindert, vorerst jedenfalls. Und das Allerschönste ist: Für all das braucht es im Nationalrat bloß eine einfache Mehrheit. Und die werden die beiden Koalitions-Weltmeister doch noch auf die Beine bringen.