Georg Hoffmann-Ostenhof: Unsere östliche Seele

Über Norbert Hofer, Sebastian Kurz und eine beunruhigende österreichische Geopolitik.

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Aber nein, für den Öxit ist Norbert Hofer nicht. Nur dann sollte Österreich die Europäische Union verlassen, sagte vergangene Woche der FPÖ-Kandidat in einem Interview in der Tageszeitung „Österreich“, wenn die Türkei der EU beitritt oder die Mitgliedsstaaten völlig entmachtet würden. Wer sich vor Augen führt, dass die Freiheitlichen seit Jahr und Tag darüber klagen, wie furchtbar Brüssel die österreichische Heimat knechtet und unsere nationale Identität zunichte zu machen droht, der muss zum Schluss kommen: Man wird sich noch wundern, wie schnell die Hofers, Straches und ihre Kumpanen, einmal an der Macht, den Weg zum Öxit finden könnten.

In dem Interview hat Hofer aber noch etwas gesagt: „Mein großer Wunsch wäre, dass wir zu einer Kooperation finden, wo Kroatien, Slowenien, Österreich, aber auch Ungarn und die Slowakei, in den wesentlichen Fragen mit einer Stimme sprechen.“ Ein neues Staatenbündnis innerhalb der EU? „Ja, (…) ein Bündnis der wohlgesinnten Staaten.“

Nun sind die genannten Länder entweder das, was Ungarns Viktor Orban „illiberale Demokratien“ nennt, oder aber sie bewegen sich, vielleicht mit Ausnahme von Slowenien, in diese Richtung. Vollkommen einig sind sich Hofers Wunsch-Alliierte in einer Frage: Wir lassen keine Flüchtlinge rein.

Bedenklich an den geopolitischen Ambitionen des Burgenländers ist nicht, dass diese besonders extrem wären. Ganz im Gegenteil. Sie bewegen sich im Mainstream. Und gerade das gibt Anlass zur Beunruhigung.

Vollkommen einig sind sich Hofers Wunsch-Alliierte in einer Frage: Wir lassen keine Flüchtlinge rein

Erinnern wir uns: Außerhalb des Rahmens der EU und explizit gegen Berlin und Brüssel veranstaltete im Februar dieses Jahres der österreichische Außenminister Sebastian Kurz seine Balkankonferenz, auf der sich die „wohlgesinnten Staaten“ Südosteuropas (plus weitere Balkanstaaten) zu einem Bündnis der Zaunbauer zusammenschlossen. Und dieses europapolitische Manöver begeisterte in Österreich nicht nur die ÖVP und FPÖ. Auch in der SPÖ – vor allem und nicht zufällig im östlichsten Bundesland – stößt dieser Anti-Merkel-Pakt des Sebastian Kurz auf massive Sympathien.

Der Balkan beginnt offenbar nicht, wie einst Staatskanzler Metternich geäußert haben soll, am Rennweg. Vielmehr bereits am Ballhausplatz. Und nicht erst seit diesem Jahr. Hofer und Kurz stehen auf den Schultern von Wolfgang Schüssel, der bereits im Sanktionsjahr 2000 von einem ähnlichen Bündnis träumte. Gemeinsam mit dem blauen Koalitionspartner wollte der damalige Kanzler eine „aktive strategische Partnerschaft mit den Staaten Mittel- und Osteuropa“ zimmern. In seltsamer Selbstüberhebung formulierte Schüssel: „Wir zeigen Europa den Weg.“ Ähnlich lächerlich belehrend zeigen sich heute Kurz und Co.

Damals sollte die angestrebte Allianz nicht zustandekommen. Noch waren die Ungarn, Slowaken, Slowenen und die anderen Völker der Region europa- und demokratiebegeistert, blickten sehnsüchtig gen Berlin und Paris und hatten wenig Lust, mit Wien gegen Westeuropa zu kungeln.

Der Balkan beginnt offenbar nicht, wie einst Staatskanzler Metternich geäußert haben soll, am Rennweg. Vielmehr bereits am Ballhausplatz.

Nun mögen bei diesen und ähnlichen Projekten Habsburg-Reminiszenzen und Mitteleuropa-Nostalgie eine gewisse Rolle spielen. Klar ist: Das Schielen Österreichs Richtung Osten hat Tradition. Und das betrifft nicht nur den Balkan und unsere östlichen Nachbarn.

„Natürlich gehören wir zum Westen, unsere Seele hat aber auch eine Ostseite“, räsonierte 2001 der (2006 verstorbene) Intellektuelle Günther Nenning anlässlich einer Staatsvisite Wladimir Putins in Wien. Der Kremlherr hatte damals unsere Ostseele tatsächlich zum Schwingen gebracht. Da drängte sich das Publikum am Straßenrand, einen Blick auf den Russen zu erhaschen, und applaudierte mit glänzenden Augen. Die heimischen Promis aus Kultur und Politik scharten sich begeistert um den Staatsgast aus Moskau. Und die Medien priesen ihn in den höchsten Tönen.

Damals kannte man den ehemaligen KGB-Spion noch nicht so recht, und man konnte immerhin hoffen, dass er das im Chaos steckende russische Riesenreich stabilisieren würde. Inzwischen wissen wir genau, mit wem wir es zu tun haben. Doch auch 2014 bereitete Österreich Putin einen fulminanten Empfang. Die Crème de la Crème der österreichischen Unternehmerschaft feierte ihn mit Standing Ovations. Als er grobe Scherze vom Stapel ließ, kicherte das Publikum unterwürfig. Die politischen und ökonomischen Eliten des Landes versicherten ihm unisono, sie seien ohnehin gegen die EU-Sanktionen „die niemandem etwas bringen“. Und der Staatsgast wurde auch nicht von Demonstrationen gegen die Krim-Annexion, den von ihm gesponserten bewaffneten Separatismus in der Ukraine und seine autokratische Herrschaft zu Hause belästigt.

Nicht umsonst hat Österreich in Moskaus Staatsmedien eine ausnehmend gute Presse. Mit großer Freundlichkeit wird gerade auch über die FPÖ berichtet, die sich seit geraumer Zeit – so wie die anderen rechtsradikalen Strömungen in Europa – besonders russophil und Putin-apologetisch gibt.

All das bedenkend, muss man die Bundespräsidentenwahl am 2. Oktober nicht zuletzt auch als Wahl zwischen dem östlichen und dem westlichen Weg Österreichs begreifen. Für Letzteren steht Alexander Van der Bellen.

Seine Familie hat ihn einst beschritten. Sie war seinerzeit vor den Bolschewiken aus Russland in den Westen geflohen.

Georg Hoffmann-Ostenhof