Martin Staudinger: Ziemlich rechte Freunde
Kennen Sie die Identitären? Eigentlich müsste die Antwort lauten: Nein, aber warum sollte man das überhaupt? Die Bewegung besteht aus ein paar Dutzend Leuten, die eine Art Hipster-Rechtsextremismus betreiben und sich bemühen, möglichst viel Lärm um die Verteidigung der „europäischen Kultur“ (beziehungsweise das, was sie dafür halten) gegen Migranten und Muslime zu veranstalten.
Ärgerlicherweise kennt man die Identitären mittlerweile besser, als man will – nicht nur wegen ihres Aktionismus, sondern auch wegen einer 1500-Euro-Spende an ihren Wien-Statthalter, die derzeit für einigen Wirbel sorgt. Der Terrorist Brenton Tarrant, der Mitte Februar in Neuseeland bei einem Massaker 50 Muslime tötete, hatte das Geld Anfang 2018 an Identitären-Chef Martin Sellner überwiesen. Seit diese finanzielle Verbindung bekannt ist, lässt die Regierung Möglichkeiten zum Verbot der Gruppierung prüfen.
Das größte Problem an den Identitären ist jedoch keineswegs die Spende vom anderen Ende der Welt. Diese beweist zunächst nur, dass jemand, der Monate später zum Massenmörder wurde, mit der Ideologie von Sellner & Co. sympathisierte, was aber noch keinen Grund für ein Verbot darstellt. Ob ein aktuell aufgrund der Spende aus Neuseeland eingeleitetes Verfahren wegen Terrorverdachts mehr zutage fördert, bleibt abzuwarten. Abgesehen davon hat sich die Justiz bereits an den Identitären abgearbeitet: In einem Prozess im Vorjahr wurden 17 Mitglieder der Gruppierung vom Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung freigesprochen. Vor wenigen Wochen bestätigte die zweite Instanz dieses Urteil.
Das größte Problem mit den Identitären ist eine Regierung, die zu wenig oder keinen Abstand zum Rechtsextremismus hält.
Das größte Problem sind auch nicht die Identitären selbst. Um ihre Weltanschauung und ihre Aktionen für widerwärtig zu halten, muss man kein Linker sein – dafür genügt es schon, sich ein Mindestmaß an Achtung für Humanität und Menschenrechte bewahrt zu haben. Es reicht auch ein Mindestmaß an Allgemeinwissen, um ihr Konzept vom Nebeneinander ethnisch und religiös reiner Völker als Quatsch zu erkennen: Das gab es nie und wird es nie geben. Dennoch muss eine liberale Demokratie die Existenz von Bewegungen wie den Identitären ertragen. Ideologischer Unsinn ist kein Verbrechen, solange er nicht mit dem Strafrecht kollidiert. Wenn viele Linke jetzt nach einer Auflösung der Hipster-Rechten lechzen, müssten sie gleiches fairerweise auch für einige Gruppierungen fordern, die ihnen näherstehen oder schützenswert erscheinen.
Nein, das größte Problem mit den Identitären ist eine Regierung, die zu wenig oder keinen Abstand zum Rechtsextremismus hält. Insofern klingen die Mahnungen von Bundeskanzler Sebastian Kurz („So etwas darf keinen Platz in unserem Land und in unserer Gesellschaft haben“) und die Forderung von Vizekanzler Heinz-Christian Strache nach einer „schonungslosen“ und „konsequenten“ Aufklärung einigermaßen hohl.
Immerhin gibt es zwischen Freiheitlichen und Identitären nachweislich Kontakte und eine Reihe personeller Überschneidungen (siehe die aktuelle Titelgeschichte). Und noch schwerer wiegen die Fälle, in denen sich die Politik die Agenda der Rechtsextremen mehr oder weniger deutlich zu eigen macht.
Sellner bedankte sich kürzlich nicht von ungefähr beim „besten Innenminister aller Zeiten“.
Als Innenminister Herbert Kickl etwa die Umbenennung der Asyl-Erstaufnahmezentren in „Ausreisezentren“ anordnete, war das nicht nur albern, es entsprach auch einer Forderung, die seit Langem von den Identitären und ihren Gesinnungsfreunden erhoben wird: Die Willkommenskultur müsse durch eine Verabschiedungskultur ersetzt werden, lautet sie – und Sellner bedankte sich kürzlich nicht von ungefähr beim „besten Innenminister aller Zeiten“ dafür, dass damit „etwas eingetreten ist, was wir lange ersehnt haben“.
Zufall? Immerhin kommt Kickls Kommunikationschef aus einem ähnlichen ideologischen Milieu wie Sellner: Er ist Mitgründer der rechtsextremen Internetplattform „unzensuriert.at“.
Und als es vergangenes Jahr darum ging, dem UN-Migrationspakt beizutreten, waren Sellner und Volksgenossen zunächst die Einzigen, die lautstark gegen das Papier polemisierten – bis Türkis-Blau ihre Gräuelpropaganda übernahm und im Wesentlichen zur Regierungslinie machte. Formulierungen und Argumente aus den Pamphleten der Identitären fanden Eingang in Wortmeldungen bis hinauf zu Bundeskanzler Kurz. Ein tendenziös übersetztes Zitat aus dem Abkommen, das nur in rechten Kreisen zirkuliert war, schaffte es sogar bis in den Ministerratsvortrag; der fragliche Textbaustein kam nach Recherchen der „Presse“ aus Straches Vizekanzleramt. Am Ende wurde Österreich zum Wegbereiter dafür, dass mehrere Staaten aus dem Pakt ausstiegen.
Schon klar: Längst nicht alles, was wie die direkte Umsetzung einer Forderung der Identitären wirkt, ist es tatsächlich auch. Ideen, die noch vor Kurzem als zynisch und inhuman in der Minderheit geblieben wären, haben sich längst im gesellschaftlichen Mainstream eingenistet und werden allein deshalb von der Politik aufgegriffen.
Umso mehr müsste sich die Regierung glaubwürdig von Gruppierungen wie den Identitären abgrenzen. Aber das gelingt dem Kabinett von Sebastian Kurz derzeit eindeutig nicht.