Kommentar

İmamoğlu ist in Haft, und Ludwig schweigt

Bürgermeister aus ganz Europa solidarisieren sich mit dem inhaftierten Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu. Warum Wiens Stadtoberhaupt Michael Ludwig schweigt.

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In der Türkei gehen Tausende Menschen gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf die Straße, das Land wird von den größten Protesten seit einem Jahrzehnt heimgesucht. Nicht nur in den Metropolen demonstrieren Menschen, sogar in Rize, jener 100.000-Einwohner-Stadt an der Schwarzmeerküste, aus der Erdoğans Familie stammt. Zu unverblümt stellt Ekrem İmamoğlus Festnahme und dessen Absetzung als Istanbuler Oberbürgermeister einen Akt willkürlicher Politjustiz dar. Zu offensichtlich scheint der Vorwurf der Korruption und Terrorunterstützung ein Versuch Erdoğans, einen Rivalen aus dem Weg zu räumen.

„Er hat Angst vor mir“, sagte İmamoğlu noch vor seiner Verhaftung am 19. März. Obwohl İmamoğlu derzeit im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis Silivri in Einzelhaft sitzt, hat ihn seine CHP zum Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028 aufgestellt.

Etliche europäische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister solidarisierten sich mit den Protesten in der Türkei: Paris, Amsterdam, Barcelona, Mailand, Zagreb. Und Wien? Was sagt eigentlich der rote Bürgermeister Michael Ludwig, ein Genosse İmamoğlus? Er sagt nichts. Von ihm gibt es keine Solidarität mit İmamoğlu und auch keine Kritik an Erdoğan. Ludwig zieht den Schwanz ein. Und es ist nicht das erste Mal, wenn es um Erdoğan geht. Dafür gibt es eine Erklärung.

Die Türkeistämmigen in Wien sind eine wichtige Wählergruppe und von der SPÖ Wien traditionell betüddelt. Die Community ist zu einem großen Teil Erdoğan-affin: Bei der türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahl 2023 haben 74 Prozent der Türkinnen und Türken in Österreich für Erdoğans AKP votiert – so viel wie in keinem anderen Land weltweit. Selbst in der Türkei waren es mit knapp 58 Prozent weit weniger. Das allein wäre noch nicht problematisch – der politische Preis, den die Wiener SPÖ zahlen muss, um diese Klientel bei Laune zu halten, ist es aber sehr wohl. Seit Jahren biedert sich die SPÖ Wien ungehemmt an die Wiener Ableger der autokratischen und rechtsextremen Strukturen aus der Türkei an – und bekam dabei jüngst Konkurrenz von der FPÖ. Beide Parteien wissen: Türken bringen Stimmen.

Zum Beispiel bei der Wien-Wahl 2020. Da erhielt die bis dahin unbekannte türkischstämmige SPÖ-Kandidatin Aslıhan Bozatemur aus dem Stand 3571 Vorzugsstimmen – mehr bekamen nur SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker und Bürgermeister Ludwig selbst. Ihren Einzug in den Gemeinderat soll Bozatemur der – zumindest indirekten – Unterstützung der Union Internationaler Demokraten verdanken, einer Lobbyorganisation von Erdoğans AKP. Dieser Tage hat Bozatemur im Wien-Wahlkampf auf Fastenbrechen-Veranstaltungen mit Grauen Wölfen, also türkischen Rechtsextremen, für Fotos posiert. Nicht nur Ludwig, auch Bozatemur, der der Bürgermeister eine „Brückenfunktion“ zur türkischen Community attestierte, verlor öffentlich kein einziges Wort zur Verhaftung des Sozialdemokraten İmamoğlu.

Ebenso wenig, als vor einem Jahr Ali Çankaya, der langjährige Präsident der Föderation der Aleviten-Gemeinden in Wien, an der Ausreise aus der Türkei gehindert wurde. Die türkischen Behörden bezichtigten den österreichischen Staatsbürger der Terrorunterstützung. Es waren die Grünen und das ÖVP-geführte Außenministerium unter Alexander Schallenberg, die sich für den Linken einsetzten. Die SPÖ Wien unter Ludwig schwieg. Im Gemeinderat konnte sie sich nicht einmal dazu durchringen, einer symbolischen Solidaritätsresolution für den inhaftierten Wiener zuzustimmen. Derlei außenpolitische Themen seien nichts für den Gemeinderat, so die SPÖ – obwohl sie just am selben Tag Anträge zur Ukraine und dem Iran unterstützt hatte.

Beim Fall İmamoğlu wiederholt sich der Eiertanz. Auch vergangenen Mittwoch konnte sich die SPÖ nicht dazu aufraffen, einem Resolutionsantrag der Grünen für die Freilassung des Istanbuler Sozialdemokraten İmamoğlu zuzustimmen.

Andreas Babler, Bundesvorsitzender der SPÖ und Vizekanzler, hatte hingegen keine Scheu, sogleich seine Solidarität mit İmamoğlu auszudrücken. Vielleicht bringt er auch den Mut auf, im Wiener Rathaus nachzufragen, was denn eigentlich Ludwigs Erdoğanproblem ist.

Nina Brnada

Nina Brnada

Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.