profil-Journalistin Franziska Tschinderle

Impfen ist in Serbien politisch – nicht erst seit Djokovic

Was uns die Causa Djokovic über die Machtspiele des serbischen Präsidenten lehrt.

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Vor einem Jahr war Serbien Europameister. Nicht im Tennis (da stellt das Land die Nummer Eins der Weltrangliste), sondern beim Impfen. Abseits von Großbritannien hatte kein Land mehr Vakzine auf Lager. Während hierzulande die Altenheime warten mussten, kamen in Belgrad bereits Mittzwanziger an die Reihe. Österreich blickte neidisch in das Balkanland, in dem in Rekordzeit Impfstraßen in Messehallen hochgezogen wurden.

Zwölf Monate später ist das serbische Impfmärchen Geschichte. Das Land hat eine der niedrigsten Durchimpfungsraten in Europa – und die ganze Welt spricht über den ungeimpften Serben Novak Djoković. Der Tennis-Weltmeister ist mit einer medizinischen Ausnahmegenehmigung nach Australien gereist, um seinen Titel zu verteidigen. Jetzt droht ihm die Ausweisung. Ob er nun spielen darf oder nicht, fest steht: Djoković wird als Märtyrer für Impfskeptiker und Verschwörungstheoretiker zurückkehren.

Sein Hang zur Esoterik ist schon länger bekannt. Djoković tankt in seiner Freizeit kosmische Energien, und er glaubt, dass man verschmutztes Wasser mit Gebeten reinigen kann. Auf Fotos ist er mit Branimir Nestorović zu sehen, bis Oktober 2020 medizinischer Berater der serbischen Regierung, der Corona als das „lustigste Virus“ der Geschichte bezeichnet hat. Laut Dr. Nestorović ist Corona für Serben unbedenklich, weil diese „Löwengene“ hätten.

Klingt verrückt? Da geht noch mehr.

Als Australien Djoković nicht einreisen lassen wollte, rastete sein Vater in Belgrad völlig aus. Er verglich seinen Sohn mit dem gekreuzigten Jesus Christus (und damit sich selbst indirekt mit Gott). Auf Demonstrationen rief er zu einem „Ende des Corona Faschismus“ auf.

Einem gekränkten Vater können schon einmal die Sicherungen durchbrennen. Nur: Ähnlich größenwahnsinnige Töne kommen auch vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, dem einst eine politische Freundschaft mit dem ehemaligen Kanzler Sebastian Kurz verband. Vor Wahlen rührte Vučić die Werbetrommel für die Volkspartei, um die Austro-Serben auf Kurz einzustimmen. Für Australien hat der serbische Präsident seit der Djoković Affäre wenig lobende Worte parat. Er sprach von einer „politischen Hexenjagd“ und ließ es sich nicht nehmen, Djoković persönlich in Melbourne anzurufen.Vor einem Jahr tat Vučić noch das exakte Gegenteil. Er rief einen „Krieg“ gegen das Virus aus und verhängte einen der strengsten Lockdowns in Europa. Impfunwilligen ließ er das Krankengeld kürzen. Vučić bestellte Millionen Dosen des Impfstoffs Sinopharm aus China, um Serbien für die Pandemie zu rüsten. Gewohnt größenwahnsinnig kündigte er an, man werde ihm, Vučić, eines Tages ein Denkmal für die Verhandlungen mit Peking bauen. Dabei ging es ihm nicht primär um die Gesundheit der Bevölkerung, sondern um eine außenpolitische Machtdemonstration gegenüber der EU. „China ist das einzige Land, das uns noch helfen kann“, rief er und küsste demonstrativ die Flagge der Volksrepublik.

Jetzt stellt sich der „Impf-Champion“ also hinter einen ungeimpften Sportler, der trotz eines positiven Corona-Tests Veranstaltungen ohne Maske besucht haben soll, also mit großer Wahrscheinlichkeit das Gesetz gebrochen hat.

Die Causa Djoković zeigt auf, wie Vučić die Pandemie für seine politischen Ziele missbraucht. Vor den Parlamentswahlen im Juni 2020 sprach er wie aus dem Nichts vom Sieg über das Virus und öffnete die Tore der Fußballstadien. Nachdem er wenige Wochen später mit absoluter Mehrheit wiedergewählt worden war, kündigte er erneut strenge Ausgangssperren an. Im April finden Präsidentschaftswahlen statt – und mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist ungeimpft. Vučić versucht erst gar nicht, sie mit guten Argumenten zu überzeugen. Nach seinem Telefonat mit Djoković schrieb er auf Instagram: „Ich habe unserem Novak gesagt, dass ganz Serbien hinter ihm steht.“ Woher will der Präsident das wissen? Hat er eine Umfrage durchgeführt?

Vučić, der zunehmend autoritär regiert, will sein Land in naher Zukunft in die Europäische Union führen, spricht aber wie ein französischer Monarch aus dem 17. Jahrhundert. Ganz nach dem Motto: L'État, c'est moi (der Staat bin ich). Mehr noch: In seiner Rhetorik personifiziert Djoković die gesamte, serbische Nation. Wer ihn, den Volkshelden, kritisiert, muss automatisch ein Verräter sein. Hinter dem Visa-Hickhack in Australien wittert Vučić eine Verschwörung: „Wenn man jemanden nicht besiegen kann, dann greift man zu solchen Mitteln.“ In anderen Worten: Die Welt wolle verhindern, dass ein Serbe der beste Tennisspieler aller Zeiten wird. Dieser Opfermythos hat in Serbien ebenso Tradition wie das Beschwören von Feindbildern.

Der serbische Präsident will sein Land in naher Zukunft in die Europäische Union führen, spricht aber wie ein französischer Monarch aus dem 17. Jahrhundert.

Als im Juli 2020 Zehntausende gegen Vučić und seine Corona-Politik auf die Straße gingen (im Raum standen manipulierte Infektionszahlen) bezeichnete der Präsident sie als „von ausländischen Agenten“ gesteuert. Im Weltbild des Sportlers Djokovic mag Corona tatsächlich nicht existieren, mögen Wunderheiler und Globuli die bessere Medizin sein. Im Universum des Politikers Aleksandar Vučić aber existiert das Virus immer nur dann, wenn es ihm politisch dienlich ist.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.