Kommentar

Islam oder/und Demokratie?

Warum uns interessieren muss, was in Bangladesch passiert.

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Ein paar Wochen lang, von Anfang Juli bis Anfang August, tauchte Bangladesch immer wieder in den Nachrichten auf: Studentenproteste, Unruhen mit Toten und Verletzten, eine Premierministerin, die im Hubschrauber das Land verließ, schließlich eine Übergangsregierung. Eine Revolution im Sommer, die rasch wieder in Vergessenheit geriet. Dhaka, die Hauptstadt von Bangladesch, liegt etwa 7000 Kilometer östlich von Wien, was kümmern uns die politischen Verwerfungen dort?

Tatsächlich mehr, als man denkt.

Bangladesch ist mit rund 173 Millionen Einwohnern das achtbevölkerungsreichste Land der Welt, etwa 90 Prozent sind Muslime. Der studentische Aufstand der vergangenen Wochen war ein Kampf gegen ein zusehends autokratisches, korruptes Regime, das ursprünglich aus demokratischen Wahlen hervorgegangen war. Jetzt wird sich entscheiden, wohin sich das Land entwickelt: zurück zu einer Demokratie und zu einem Rechtsstaat? Oder kehrt die verjagte Premierministerin Scheich Hasina, wie sie angekündigt hat, wieder zurück, um neuerlich eine Autokratie zu etablieren? Oder versuchen fundamentalistische Muslime an die Macht zu gelangen?

Die Frage, ob das Ringen um Demokratie in einem islamisch dominierten Land gelingt, ist der erste Grund, weshalb uns in Europa Bangladeschs Schicksal nicht egal sein kann. Ein geglücktes Beispiel für eine islamische Demokratie in einem so großen Staat wäre von überregionaler Bedeutung.

Auch geopolitisch wird sich Bangladesch neu ausrichten. China, Indien und der Westen kommen als bevorzugte Großmächte infrage. Mit allen dreien pflegt das Land bereits gute Beziehungen. Aber wessen Einfluss siegt? Die USA, Europa und Japan sind die Märkte, denen Bangladesch seinen ökonomischen Aufstieg zu einem großen Teil verdankt. Sein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt liegt über dem Indiens. Bangladesch als prowestlichen Staat zu gewinnen, wäre endlich wieder ein Erfolg des Westens. Dabei geht es nicht bloß ums Prestige. Eine stabile Demokratie hätte auch einen dringend erwünschten Nebeneffekt: weniger Flüchtlinge.

Im Jahr 2023 hat die Zahl der Asylwerber, die aus Bangladesch in den Westen (Europa, USA, Kanada, Südafrika, Australien …) kommen, mit über 55.000 einen Höchststand erreicht. In Österreich lag Bangladesch 2023 unter den Top-10-Herkunftsnationen. Die Anerkennungsquote als Flüchtlinge ist in der EU sehr gering, die meisten der Asylwerber fliehen nicht vor Verfolgung, sondern weil sie angesichts der korrupten, autoritären Regierung ihr Glück woanders suchen wollen.

An diesem Punkt treffen sich zwei Interessen des Westens – und damit unsere. Wenn wir die aktuelle Übergangsregierung unterstützen, steigt die Chance, dass sich Bangladesch für ein demokratisches, rechtsstaatliches Modell entscheidet und dass die Menschen nicht zu flüchten brauchen. Das ist ein praktisches Anwendungsbeispiel für die oft strapazierte Theorie der „Hilfe vor Ort“. Wie soll die im konkreten Fall aussehen? Müssen wir schon wieder Geld schicken?

Die gute Nachricht lautet: nein. Natürlich ist Bangladesch zum Teil auf internationale Hilfe angewiesen, etwa weil das Land fast eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat, die dem Volk der Rohingya angehören und aus Myanmar fliehen mussten. Doch die jetzt nötige Unterstützung des Staates Bangladesch sieht anders aus. Die Europäische Union gewährt dem Land – wie anderen ökonomisch schwachen Staaten auch – derzeit zollfreien Zugang zu seinem Markt. Diese bevorzugte Behandlung läuft jedoch im Jahr 2029 aus, weil Bangladesch nicht mehr zu den ärmsten Ländern gehört. Deshalb will es mit der EU ein Freihandelsabkommen abschließen. Das hilft der Wirtschaft des aufstrebenden Landes, und es stärkt die Beziehungen zu Europa. (Nur fürs Protokoll: Was täten wir ohne die EU?)

Eine stabile Demokratie hätte auch einen dringend erwünschten Nebeneffekt: weniger Flüchtlinge.

Der Internationale Währungsfonds wiederum hat mit Bangladesch im Jänner 2023 einen Rettungsschirm vereinbart. Um an dieses Geld zu kommen, muss Bangladesch Wirtschaftsreformen durchführen. Auch das wird das Land näher an den Westen heranführen.

Da trifft es sich gut, dass der Chef der Übergangsregierung Muhammad Yunus ist – der weltweit bekannte Friedensnobelpreisträger des Jahres 2006, der in den 1970er-Jahren in seinem Heimatland Bangladesch ein Programm für Mikrokredite initiierte. Yunus ist 84, Muslim und in den USA promovierter Ökonom. Er und sein Team stehen vor der Herkulesaufgabe, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die staatlichen Institutionen wiederherzustellen, die Wirtschaft zum Laufen zu bringen und islamischen Extremismus niederzuhalten. Vergangene Woche besuchte der Übergangs-Premier öffentlichkeitswirksam einen Hindu-Tempel in Dhaka, um gegen Gewalttaten aufzutreten, die zuletzt von radikalen Muslimen an Hindus begangen wurden. „Wir sind alle ein Volk mit einem gemeinsamen Recht“, sagte Yunus.

Bangladesch verdient unsere Aufmerksamkeit.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur