Johannes Grenzfurthner: Arbeit am Körper
Das Wort Cyborg wurde in den frühen 1960er-Jahren erstmals als wissenschaftlicher Begriff von den NASA-Wissenschaftern Manfred Clynes und Nathan Kline eingeführt. Damit stellten sie sich die technische Anpassung einer Person an die Umweltbedingungen des Weltraums vor – den nächsten evolutionären Schritt. Die Idee, dass Technologie oder andere künstlich hergestellte Teile in ein organisches System eingebaut oder daran befestigt werden könnten, ist jedoch viel älter. Das traditionelle männliche Bild in westlichen, patriarchalen Gesellschaften wurde seit Tausenden von Jahren durch körperliche Leistung definiert: die Fähigkeit zu jagen, zu arbeiten und für die Familie zu sorgen, ein Kämpfer zu sein, you name it. Dieses männliche Bild erhielt durch die Industrialisierung einen tiefgreifenden kulturellen Stoß, und es taumelt immer noch recht damisch vor sich hin.
Eine Illustration dieses Schocks ist die Formel zur Berechnung von mechanischer Arbeit, die alle Schüler:innen lernen: Arbeit wird verrichtet, wenn ein Körper durch eine Kraft bewegt oder verformt wird. Die Definition von Arbeit ist eng mit dem Aufkommen der kapitalistischen Doktrin verknüpft. 1829 wurde die mechanische Arbeit erstmals in Büchern von Gaspard Gustave de Coriolis und Jean-Victor Poncelet exakt definiert. Diese beiden Bücher waren, wie der Wissenschaftsforscher Thomas Brandstetter uns erinnert, für das betriebliche Management und nicht für die universitäre Forschung geschrieben worden. Sie definierten Arbeit nicht nur als menschliche Tätigkeit, sondern auch als etwas, das Tiere und Maschinen tun können.
Die zeitgenössische Männlichkeit ist zerrissen. Es ist nicht die Fitness, Kraft und Potenz eines muskulösen, gut trainierten Mannes, die gesellschaftlichen Status erreicht, sondern die Kraft seiner Technologie und wie gut er diese nutzen kann.
Dies ermöglichte auch ein objektives Maß zur Bestimmung von Löhnen und definierte Menschen als „lebendige Maschinen“, die durch die Menge an Arbeit, die sie an einem Tag leisten können, charakterisiert werden. Die zentrale wirtschaftliche Frage lautet: Wie viel Arbeit kann eine Person pro Tag maximal leisten? Menschen werden so nicht nur zu einem kalkulierbaren Teil der größeren Maschinerie, sondern auch zu Opfern von deren einschüchternder Macht. Unabhängig davon, wie stark oder fit ein Einzelner ist, hat er keine Chance gegen eine Dampfwalze oder einen dahintosenden Zug. Der Arbeiter wird zu einem verwundbaren und sogar zerstörbaren Objekt, auf eine Weise, die in der Vergangenheit undenkbar gewesen wäre. Dieser Wandel verändert zwangsläufig das männliche Bild: Ein Mann wird zu etwas Winzigem, Austauschbarem reduziert. Der Fordismus strebt maximale Effizienz der Arbeiter an – bis zum Verschleiß. Gleichzeitig sollen diese auch so lange wie möglich produktiv und reproduktionsfähig gehalten werden. Darüber hinaus führte die zunehmende Industrialisierung der Kriege im 19. Jahrhundert zu einem dramatischen Anstieg der Anzahl von versehrten Männern. Der Amerikanische Bürgerkrieg schuf einen enormen Markt für Prothesen und andere medizinische Technologien. Schwere Verletzungen und Entstellungen, die auf dem Schlachtfeld entstanden, trugen zur erhöhten Nachfrage nach plastischer Chirurgie bei.
Arbeit wird verrichtet, wenn ein Körper durch eine Kraft bewegt oder verformt wird.
Es ist kein Zufall, dass in den 1800er-Jahren auch ein neues literarisches Genre entstand: der Horror. Darin gibt es körperverstümmelnde, verzerrende und transgressive sowie gewalttätige Orgien, die in den Medien der Fotografie und des Films weiterentwickelt werden. Horror schafft einen Raum, in dem der zerbrochene Körper als faszinierender Anblick sichtbar wird. In früheren Diskursen war ein solcher Körper normalerweise ausgeschlossen oder wurde ignoriert. Vor diesem Hintergrund kann die radikale Darstellung des Körpers in der Populärkultur als symptomatischer Ausdruck der seit Beginn der Industriellen Revolution ungelösten Krise des männlichen Körpers betrachtet werden. Die zeitgenössische Männlichkeit ist zerrissen. Es ist nicht die Fitness, Kraft und Potenz eines muskulösen, gut trainierten Mannes, die gesellschaftlichen Status erreicht, sondern die Kraft seiner Technologie und wie gut er diese nutzen kann. Männlichkeit wird durch Geschicklichkeit im Umgang mit tools verhandelt. Dieser Wandel bietet aber auch neue Angriffsflächen für Subversion. Mit der Kulturtheoretikerin Donna J. Haraway könnten wir argumentieren, dass Cyborg-Technologien die patriarchalen, heteronormativen Codes der symbolischen Ordnung durcheinanderbringen und neue Möglichkeiten der Emanzipation eröffnen. Der österreichische Künstler Offerus Ablinger stellt etwa in seinem Bilderzyklus „Trans/Masc“ Fragen zur Zukunft schwuler und (sub-)kultureller männlicher Bilder und zur Prognose transhumaner Welten. Seine beeindruckenden Gemälde zerlegen das traditionelle männliche Bild, zeigen es als technologische Verzerrung.
Unsere Körper sind nicht unsere bodymodifizierten, radikaltrainierten, testosterongeboosterten Gefängnisse. Marx sagt, dass wir alle Verhältnisse umwerfen müssen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Es ist Zeit, uns zu befreien. Und unsere Leiber.