Teufelsmetall nicht für Verzehr geeignet
Die Entdeckung des Plutoniums im Jahr 1940 hat die menschliche Historie nachhaltig geprägt. Sie öffnete Türen zu ungeahnten Anwendungen, aber im Schatten dieser beeindruckenden wissenschaftlichen Durchbrüche verstecken sich auch Erzählungen von menschlicher Belastbarkeit wie die von Donald Mastick, der ungewollt zu einem der wenigen Menschen wurde, die je Plutonium geschluckt haben.
Plutonium ist eine künstlich hergestellte Substanz, die in der Natur praktisch nicht vorkommt (300 Tonnen im Erdboden über den Planeten verteilt, also quasi nix) und in speziellen Labors erzeugt werden muss, damit man überhaupt brauchbare Mengen erhält. Und es wurde, sehr passend, nach dem Gott der Unterwelt benannt. Die erste Atombombe der Welt war eine Plutonium-Implosionsbombe mit einer Sprengkraft von 20.000 Tonnen TNT. Das war, wie David Lynch es auch künstlerisch in „Twin Peaks“, Staffel 3, verarbeitet,
der höllische Höhepunkt der Moderne und der Beginn des Anthropozäns: Got a light?
Mehr als ein Drittel der in den meisten Kernkraftwerken erzeugten Energie stammt aus Plutonium, da es im Reaktor als Nebenprodukt entsteht. Und auch seine Verwendung in Radionuklidbatterien für Weltraumsonden zeugt von Effektivität: Es gibt eigentlich keine Alternative für Projekte wie Voyager, Galileo oder New Horizons, also Maschinen, die in der Kälte des Alls für viele Jahre und Jahrzehnte Strom brauchen, für die Sonnenlicht aber eine Mangelware ist. Es war deshalb auch sehr spannend zu verfolgen, dass der NASA vor 15 Jahren fast das Plutonium ausgegangen wäre, weil nach dem Ende des Kalten Krieges einfach keines mehr hergestellt wurde. (Dass es „die Libyer“ hatten und Doc Brown damit seine Zeitmaschine antrieb, ist eher unglaubwürdig.)
Die Geschichte des Plutoniums ist auch voller kurioser Fakten. Aufgrund seiner hohen Dichte und seines glänzenden Aussehens ist es als „Metall des Teufels“ bekannt, aber in den ionischen Oxidationsstufen fast einladend lavendelfarben, hellrosa, orange und grün. Ein großer Klumpen des kostbaren Zeugs kann sich selbst entzünden. In den 1950er- und 1960er-Jahren gab es sogar Pläne, kleine Reaktoren in Haushalten als effiziente Energiequellen zu installieren. Nuclear family in extrem.
Plutonium ist aber auch, pardon my french, beschissen toxisch. Als Alphastrahler ist es vor allem dann gefährlich, wenn es in den Körper aufgenommen wird und Zellen zerfetzt wie die Geister einen Pacman. Schon die Inhalation von 40 Nanogramm Plutonium-239 genügt, um den „Grenzwert der Jahresaktivitätszufuhr für Inhalation und Ingestion“ (wie das so schön heißt) zu erreichen. Es ist der gefährlichste Stoff, den die Menschheit kennt. Und das ist schon deswegen wissenswert, weil sich in unserer Atmo- und Biosphäre durchaus Plutonium befindet: eine Hinterlassenschaft der atmosphärischen Atomwaffentests.
Plutonium ist vor allem dann gefährlich, wenn es in den Körper aufgenommen wird und Zellen zerfetzt.
Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, ein Zeitraum, der weit über unsere gesamten menschlichen Überlieferungen hinausgeht. Diese Tatsache stieß etliche Projekte an, die sich mit der Frage beschäftigten, wie wir auch künftige Generationen, denen unsere Kultur und Sprachen fremd sein werden, vor Endlagerstätten warnen könnten; eine schwierige, futurokulturelle Aufgabe.
Aber zurück zum eingangs erwähnten Wissenschafter Donald Mastick, der im Los Alamos Laboratory in New Mexiko am Bau der ersten A-Bombe arbeitete. Die Frühzeit der Kernforschung war eine ziemlich dreckige, Hands-on-Bastelangelegenheit in staubiger Wüstenumgebung, nicht unähnlich einem Hackerspace, aber mit astronomischem Budget (was wir in Christopher Nolans neuem Film „Oppenheimer“ garantiert formschön vor Augen geführt bekommen werden).
Am 1. August 1944 ereignete sich also ein unerwartetes Ereignis im Labor von Mastick und seinem Partner Arthur Wahl. Sie arbeiteten mit einer Phiole, die 10 Milligramm Plutoniumchlorid in einer Säurelösung enthielt, als diese plötzlich explodierte (für Nerds: Dissoziation von Wassermolekülen durch Alphastrahlung des Plutoniums -> Gas -> Boom!). Mastick schmeckte die Säure in seinem Mund und wusste daher, dass er etwas Plutonium aufgenommen hatte. Holy Moly!
Trotz intensiver Reinigung blieb Masticks Haut mit einem Mikrogramm Plutonium kontaminiert. Der Chefmediziner gab ihm diverse Mundspülungen, dies entfernte den Großteil des Stoffs. Dennoch konnte sein Atem in den folgenden Tagen das Messgerät einer Ionisationskammer zum Ausschlagen bringen, sogar aus 1,8 Metern Entfernung. Mit einer Magenpumpe konnten die Kollegen das Plutonium, das verschluckt worden war, zurückgewinnen, wobei gesamt 60 Nanogramm Plutonium „geborgen“ wurden. Urinproben zeigten, dass weniger als 1 Mikrogramm in Masticks Körper verblieben war. Einige Spuren waren selbst 30 Jahre später noch nachweisbar. Ja, richtig: Er hat es überlebt und eine bemerkenswert lange akademische Karriere gehabt. Bis zum Alter von 87 Jahren wurde Donald Masticks Atem regelmäßig auf Radioaktivität überprüft.
Seltsam, aber so steht es geschrieben.
Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom.