Karenzvertretung

Und ewig stampft das Weltenende

Wenn wir glauben, dass die Menschheit die Erde in einem historisch beispiellosen Ausmaß zerstört, dann leiden wir an klassisch menschlicher Selbstüberschätzung.

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Ich finde mich mitsamt Hunderten anderen Primat:innen meiner Spezies auf einem offenen Platz mit atemberaubendem Setting wieder und harre eines Spektakels. Aus einem Gesteinsloch wird bald heißes Wasser schießen, und das in großen Mengen: Zehntausende Liter werden vor leuchtenden Augen in beeindruckende Höhen geschleudert. Es ist wie Christi Himmelfahrt ohne Himmelfahrt. (Christi Kelomat, sozusagen.) Es ist eine Erfahrung geologischer Gewalt beim „Old Faithful“ im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark, dieser Geysir ist längst Teil der globalen Popkultur geworden.

Das kollektive Starren fühlt sich an wie ein Todeskult, nur einer, dessen sich kaum jemand gewahr ist. Yellowstone ist nämlich die Caldera eines Supervulkans, einer der größten und gefährlichsten vulkanischen Formationen auf der Erde. Die Vorstellung, dass diese gigantische Bestie eines Tages erwachen könnte, ist gleichermaßen faszinierend und erschreckend. Wissenschaftliche Aufzeichnungen zeigen, dass Yellowstone in der Vergangenheit drei Mal ausgebrochen ist, mit dem letzten großen Ausbruch vor etwa 640.000 Jahren. Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann es wieder knallt – und das war’s dann mit unserer Zivilisation. Wenn wir nämlich glauben, dass die Menschheit die Erde in einem historisch beispiellosen Ausmaß zerstört, dann leiden wir an klassisch menschlicher Selbstüberschätzung. Der Ausbruch des Toba-Supervulkans vor etwa 74.000 Jahren beispielsweise breitete eine Todesdecke über den Planeten und führte zu einer zehnjährigen Winterperiode, die die globalen Temperaturen um fast fünf Grad Celsius fallen ließ.

 

Unsere Faszination für das Ende der Welt ist nicht nur ein Zeichen unserer Angst, sondern auch ein Symbol unserer Hoffnung.

Weltuntergänge sind eine populäre Sache. Ich denke zum Beispiel an Romane wie „Die Straße“ von Cormac McCarthy, „Lobgesang auf Leibowitz“ von Walter M. Miller, Jr., oder den herrlich abgedrehten „Seveneves“ von Neal Stephenson. Aber warum sind wir so masochistisch fasziniert von der eigenen Auslöschung? Seit Jahrhunderten beschäftigt uns das Konzept, wobei die Vorstellungen von religiösen Prophezeiungen bis hin zu wissenschaftlichen Warnungen reichen. Besonders in Zeiten des sozialen und kulturellen Umbruchs, der Unsicherheit und des Leids tendieren Menschen dazu, sich intensiver mit apokalyptischen Prognosen auseinanderzusetzen oder diesen mehr Bedeutung beizumessen.

Der Reiz, der vom Gedanken an das Ende ausgeht, ist häufig eng mit der romantischen Sehnsucht nach Erneuerung oder einem radikalen Neubeginn verbunden. Es hat in der Geschichte eine Vielzahl von Prognosen und Warnungen hinsichtlich des Endes der Welt gegeben. Dazu zählen religiöse Vorhersagen wie die von Papst Silvester II. am Ende des ersten Jahrtausends oder die von Martin Luther im 16. Jahrhundert, aber auch wissenschaftlich begründete Ängste, wie die Massenpanik, die durch die Annäherung des Halleyschen Kometen im Jahr 1910 ausgelöst wurde. Die Vorstellung eines definitiven Endes der Welt war frühen Kulturen eher unbekannt. Sie vertraten eher einen zyklischen Ansatz, bei dem sich Phasen der Zerstörung und Erneuerung stetig abwechselten.

Das ist auch heute noch ein zentrales Element in den großen asiatischen Religionen. Mit Zarathustra jedoch begann die Idee eines unwiederbringlichen Untergangs der Welt sich zu verbreiten. Die christliche Tradition bietet mit der „Offenbarung des Johannes“ eine der bekanntesten Visionen. Darin sind erschreckende Bilder zu finden, von gepanzerten Insekten mit menschlichen Gesichtern bis hin zu feuerspeienden Gäulen. Johnny Cash hat das wohl am poetischsten in „The Man Comes Around“ besungen: „Till armageddon no shalam, no shalom. Then the father hen will call his chickens home.“

Da werde selbst ich, als radikaler Atheist, zum willigen Pipihendl. Ich lege das Sachbuch „Scatter, Adapt, and Remember: How Humans Will Survive a Mass Extinction“ von Annalee Newitz als nette Urlaubslektüre ans Herz. Newitz offeriert eine eindringliche, aber ermutigende Perspektive auf solche endzeitliche Szenarien. Sie betrachtet solche Katastrophen nicht als unvermeidliche Endpunkte, sondern als Prüfungen. Es gibt stets einen „Tag danach“, der die Vorstellungskraft und die Anpassungsfähigkeit der Menschheit weiter herausfordert.

Unsere Faszination für das Ende der Welt ist deswegen nicht nur ein Zeichen unserer Angst, sondern auch ein Symbol unserer Hoffnung. Wir sind alle Teilnehmer:innen in einem endlosen Tanz von Zerstörung und Wiederaufbau, Tod und Wiedergeburt. Inmitten der potenziellen Zerstörung liegt für uns wissbegierige Afferl die größte Stärke: unsere unermüdliche Fähigkeit, uns der Herausforderung zu stellen. „Old Faithful“ spuckt. Die Menge klatscht. Und ich bin glücklich.

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.