Prinzessin Photoshop
Wirklich viele große, identitätsstiftende Institutionen haben sie im Vereinigten Königreich ja nicht mehr. Das ganze Zeug im British Museum ist geklaut, die Boyband One Direction hat sich aufgelöst, und seit die Coronapandemie vorbei ist, gibt es nicht mal mehr die geheimen Garten-partys von Boris Johnson. Kein Wunder also, dass man sich verzweifelt an die Königsfamilie klammert, schließlich ist die Auswahl an anderweitigen Unterhaltungspotenzialen auf einer Insel gering, und ehrlichweise haben die Royals den Job in Sachen Schlagzeilen bisher recht gut erledigt. Affären, Scheidungen, Streit; Diana vs. Charles, Harry und Meghan vs. alle. Oder, ganz neu: die Photoshop-Causa der verschwundenen Kate. Aber von vorn.
Am 25. Dezember 2023 sieht die Öffentlichkeit die Prinzessin von Wales das letzte Mal. Sie besucht zusammen mit ihrem Ehemann Prinz William und ihren drei Kindern den Weihnachtsgottesdienst in Sandringham. Im neuen Jahr gibt der Palast dann bekannt, dass sich Kate einer geplanten Operation „im Bauchraum“ unterzogen habe. Details zum Eingriff gibt es keine, es sei jedenfalls kein Krebs, alles sei gut verlaufen, und Kate ziehe sich bis Ostern zurück und erhole sich.
Um die anhaltenden Spekulationen im Netz und Boulevard zu entkräften – „Ist mit Kate alles in Ordnung?“ –, veröffentlichte der Kensington-Palast diese Woche, rechtzeitig zum britischen Muttertag, ein Foto der Prinzessin zusammen mit ihren Kindern auf Social Media. „Vielen Dank für eure freundlichen Wünsche und eure anhaltende Unterstützung in den letzten zwei Monaten. Ich wünsche allen einen schönen Muttertag. C“, steht in der Bildbeschreibung, fotografiert hat laut Bildtext Prinz William. Die Botschaft: Alles ist gut.
Wirklich aufgegangen ist dieser Plan nicht, am Ende war die Botschaft eher: Alles ist fake. Wegen Manipulationsverdachts zogen mehrere internationale Bildagenturen das Foto zurück. „Bei näherer Betrachtung scheint es, dass die Quelle das Bild in einer Weise manipuliert hat, die nicht den Fotostandards von AP entspricht. Das Foto zeigt beispielsweise eine Inkonsistenz in der Ausrichtung der linken Hand von Prinzessin Charlotte“, heißt es unter anderem in einer Stellungnahme der Nachrichten- und Presseagentur Associated Press (AP).
Die Royals sind so etwas wie die Kardashians Europas, nur mit blutiger Kolonialvergangenheit.
Mittlerweile räumte der Palast „kleinere Anpassungen“ ein, auf Twitter entschuldigte sich Kate persönlich: „Wie viele Amateurfotografen experimentiere ich gelegentlich mit der Bearbeitung. Ich möchte mich für die Verwirrung entschuldigen, die das Familienfoto, das wir gestern geteilt haben, verursacht hat. Ich hoffe, dass alle Feiernden einen sehr schönen Muttertag hatten. C“. Das Originalfoto veröffentlichten die Royals nicht. Seitdem geht es rund, besonders im Internet. Das Phänomen hat mittlerweile sogar einen eigenen Namen: „Katespiracy“, die „Kate-Verschwörung“, und die reicht von der Prinzessin im Koma bis hin zu einer verpatzten Popsch-Vergrößerung. Über die Royals lässt sich nämlich großartig lästern, sie sind so etwas wie die Kardashians Europas, nur mit blutiger Kolonialvergangenheit. Dazu kommt: Die Königsfamilie bietet eine ideale Projektionsfläche, und seit der Netflix-Serie „The Crown“ sind die Royals sowieso mehr Drama-Hauptcharaktere als Staatsoberhäupter. Egal ob Republikanerin oder Monarchist: Jeder kann mitreden, und alle sind unterhalten. Fall abgeschlossen.
Nun, so einfach ist es dann doch nicht. Natürlich ist es nichts Neues, dass Fotos auf Social Media manipuliert werden. In Zeiten von künstlicher Intelligenz und Fake News trifft das gephotoshoppte Bild aber einen besonders sensiblen Nerv: Können wir dem, was wir sehen, noch glauben? In der britischen Tageszeitung „The Guardian“ sagte die Informationsexpertin Shweta Singh dazu richtig: „Da in diesem Jahr sowohl im Vereinigten Königreich als auch in den USA Wahlen stattfinden, war die Bedeutung der Echtheit von Medien noch nie so groß wie heute. Verdächtiges Photoshoppen wie dieses untergräbt nur das Vertrauen der Öffentlichkeit und birgt die Gefahr, es ernsthaft zu beschädigen.“
Die Debatte tut den Royals deshalb auch so weh. Ihre Währung ist die Popularität, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Monarchie. Kommuniziert haben sie dafür immer über die Medien Foto und Video, um besonders nahbar und echt zu wirken. Dieses Bild ist nun angekratzt. Wieso sollte sich der Union-Jack-schwenkende Royal-Ultra fortan darauf verlassen, dass das idyllische Familienfoto der Windsors wirklich so passiert ist und nicht nur aus alten Archivbildern zusammengestellt wurde? Die Ambivalenz der einerseits unnahbaren und gleichzeitig ganz normalen Royal Family funktioniert nicht, wenn man weder in das eine noch das andere richtig vertrauen kann. Schließlich sitzt Kate auf dem Foto wie jeder andere im Garten, kaum geschminkt, ohne Nagellack und mit Outdoor-Stiefeln an den Füßen. Eine ganz normale Familie eben. Und nicht einmal das stimmt.