Kickl-Verhindern als Programm ist zu wenig
Postillons d’amour sind unterwegs, die Operation Schönreden hat begonnen. „Gut für Österreich“ (der ruhige Fels der SPÖ, der Kärntner Peter Kaiser) oder „stabil“ (das Enfant terrible der SPÖ, Tirols Georg Dornauer) und „lieber als andere Regierungen“ (der Querredner der ÖVP, der Steirer Christopher Drexler): Die früher Große, heute maximal mittelgroße Koalition feiert ein Schlagzeilen-Comeback, das Hohelied auf sie wird in SPÖ und ÖVP vielstimmig gesungen.
Diese Sehnsucht nach der Rückkehr zur Groko, dem altmodisch-verstaubten „Hotel Mama“ der Innenpolitik, wirkt reichlich seltsam – außer man leidet unter ausgeprägtem Kurzzeitgedächtnis. Oder verklärt heillos die Vergangenheit. Denn in der Realität bedeutete die Zusammenarbeit von ÖVP und SPÖ oft Proporz, Kleinkrieg und Intrigen bis zum Abwinken. Von „zwei zur Zusammenarbeit Verdammten“ seufzte schon entnervt ÖVP-Kanzler Julius Raab in den 1950er-Jahren über die ungeliebte Regierung. Und setzte sie trotzdem fort, wie viele Nachfolger. Oft als Quälerei, mit bizarren Tauschgeschäften und Schlammcatchen auf offener Bühne: So wurde penibel festgeschrieben, dass der schwarze Landwirtschaftsminister für den Export von Erdbeeren das Okay des roten Innenministers braucht. Selbst kleine Themen wie die Verlängerung des Zivildienstes brauchten zermürbende sechs Jahre bis zur Beschlussreife. Und sogar eine der tatsächlich großen Leistungen, der EU-Beitritt, wurde durch kleinliches Gezänk, wer den Beitrittsvertrag unterschreiben darf, vermasselt.
„Gut“ oder „stabil“ war an der GroKo wenig, auch deshalb, weil beide „Partner“ argwöhnisch darauf achteten, dass der andere partout keinen Erfolg verbucht. Zurück zu der Sorte Koalition will niemand, da wird Schönreden nichts helfen.
Dennoch: Eine Regierung von SPÖ und ÖVP könnte sinnvoll sein – aber nur, wenn ihr Ziel aus mehr als Machterhalt besteht. Bloß die FPÖ in der Regierung verhindern zu wollen, ein pures Anti-Kickl-Programm und sonst nichts zu bieten: Das ist als Existenzgrundlage zu wenig und zum Scheitern verurteilt. Eine Rückkehr zur Groko kann nur dann Erfolg haben, wenn die ewig hohle Phrase „zum Lösen großer Probleme braucht es breite Zusammenarbeit“ ausnahmsweise mit Leben erfüllt wird.
Denn, ohne in plumpen Alarmismus zu verfallen, große Herausforderungen gäbe es: Wichtige Säulen des Modells Österreich geraten ins Wanken. So herrschte über Jahrzehnte der ungeschriebene Grundkonsens, dass das Gesundheits- und Bildungssystem zwar zu hohen Steuern und Lohnnebenkosten führt – aber dafür beste Medizin und Schulen für alle garantiert. Die Gleichung geht nicht mehr auf, seit die Wartezeit auf Operationen oder Arzttermine Monate dauern kann, seit Lehrermangel und Berichte über Gewalt in Klassen grassieren. Wie die kompliziert-verworrenen Zuständigkeits- und Geldströme für Gesundheit und Bildung modern und zukunftsfit gestaltet werden, das wäre in der Tat eine lohnende Aufgabe für eine Koalition aus ÖVP und SPÖ (und ihre Landeshauptleute). Genauso wie andere kniffelige Großbaustellen: Wie soll das Budget nach den „Koste es, was es wolle“-Jahren saniert werden? Wie das Steuersystem neu austariert, wie die Klimakrise bekämpft, wie das Riesenthema Pflege bewältigt, wie Vertrauen in die Demokratie wiederhergestellt, wie die Balance zwischen qualifizierter Zuwanderung und Grenzschutz gefunden werden?
Klar: Leicht wäre es nicht, Antworten auf derartige Grundsatzfragen zu finden – schon gar nicht für SPÖ und ÖVP, die oft diametral unterschiedliche Positionen vertreten. Aber: ÖVP und Grüne liegen inhaltlich noch weiter auseinander, sind bei so gut wie jedem Thema (von Sozial- bis Migrationspolitik) komplett anderer Meinung – und schafften dennoch, von der Abschaffung des Amtsgeheimnisses bis zur ökosozialen Steuerreform, eine durchaus vorzeigbare Regierungsbilanz.
Auch ÖVP und SPÖ könnten das Beste aus beiden Welten anvisieren – wenn sie wollen. Und wenn beide ehemalige Großparteien beginnen, Zukunftspläne zu entwickeln. Denn derzeit schwelgen beide vor allem in holzschnittartig-rückwärtsgewandten Welten: Die SPÖ träumt von Retro-Verstaatlichen-Industrie-Klassenkampf-Lösungen der 1980er- Jahre, die ÖVP von ebenso überholten heilen Vater-Mutter-Kind-Familie-Landidyllen. Beides wird bei der Gestaltung der Zukunft nicht weiterhelfen – und ohne diesen Anspruch hat eine Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Regierungszusammenarbeit wenig Sinn.
Denn die Große Koalition war auch ein Nährboden, der die FPÖ immer weiter wachsen ließ. Während der SPÖ-ÖVP-Regierungen 1987 bis 2000 verloren beide Parteien ein sattes Viertel ihrer Wähler, vor allem in Richtung Blau. Im Jahr 2013, als die bisher letzte Groko startete, kamen SPÖ und ÖVP gemeinsam gerade noch auf kümmerliche 51 Prozent. Über ein Jahrzehnt später schaut die Ausgangslage noch schlechter aus.
Taktische Spiele werden daran nichts ändern. Verfrühte Koalitionsansagen ohne Inhalt schon gar nicht.