Leitartikel

Kickls steiniger Weg zum Kanzler

Eine Wahl zu gewinnen ist nur der erste Schritt. Um Regierungschef zu werden, muss FPÖ-Chef Kickl einen Koalitionspartner finden, der ihn zu diesem krönt – aber keiner will ihm den Gefallen tun.

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Es ist keine Überraschung – aber dann doch irgendwie unglaublich: Die FPÖ hat die Wahl mit deutlich klarerem Abstand gewonnen als noch am Abend davor angenommen. Da lagen Blau und Schwarz bei der Vorwahltagsbefragung noch gleichauf. Damit geht die Nationalratswahl 2024 in die Geschichte ein, das hat es seit 1945 nicht mehr gegeben. Jene Partei, die von (Ex-)Nazis gegründet wurde, und die in Teilen  nach wie vor ganz unverhohlen in dieser Tradition steht, holt Platz eins. Migration, Festung Europa, angeblicher EU-Wahnsinn, Teuerung und schließlich die Überbleibsel des Covid-Traumas haben die Rechtspopulisten an die Spitze katapultiert.

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl war sich des Sieges seit Monaten sicher gewesen, ließ sich schon vorab als „Volkskanzler“ feiern. Aber der Weg auf den Kanzlerstuhl ist trotzdem noch steinig.

Kickl sucht Koalitionspartner

Nachdem das Wahlergebnis endgültig feststeht, ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Zug: Er wird einen Regierungsbildungsauftrag erteilen, traditionellerweise bekommt diesen der Wahlsieger. Das wäre dann in diesem Fall also Herbert Kickl. Und bei aller persönlicher Abneigung, die der Bundespräsident wohl gegen Kickl hegt – es gibt keinen rechtsstaatlichen Grund, ihm diesen Auftrag nicht auch zu geben. So funktioniert Demokratie eben. Der Ball läge dann beim blauen Parteichef, er muss eine Koalition formen – und das muss er erst einmal hinkriegen. Weit und breit bietet sich nämlich niemand an, Kickl zum Kanzler zu machen. Das wurde von allen Parteien ausgeschlossen.

ÖVP-Kanzler Karl Nehammer hat von Vornherein gesagt, er werde in keine Koalition mit einer Herbert-Kickl-FPÖ gehen. Konsequenterweise dürfte er dann also nicht einmal Sondierungsgespräche führen. Die Frage ist allerdings auch: Wie groß wird der Druck aus seiner eigenen Partei werden, wieder in eine Regierung zu kommen? Auch wenn derzeit niemand an Nehammers Stuhl sägt – wer sagt, dass, nur weil er es mit Kickl nicht macht, sich nicht jemand anderer findet, der damit weniger Probleme hat? Dass Kickl auf den Kanzlerstuhl zugunsten der ÖVP verzichtet, dass es noch einmal eine Art Wolfgang-Schüssel-Move geben wird, das ist nicht anzunehmen. 

Auch SPÖ-Chef Andreas Babler hat eine Koalition mit Herbert Kickl strikt  ausgeschlossen. ÖVP und FPÖ hätten zumindest programmatisch große Überschneidungen – das ist mit der SPÖ nicht der Fall, und auch ideologisch ist es eher nicht denkbar, dass die linke SPÖ (mit egal wem an der Spitze) mit der teils rechtsradikalen FPÖ genug gemeinsame Nenner findet, um das in ihrer Partei durchzutragen. Die FPÖ sieht das lockerer – zuletzt ist der dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer ausgerückt, um öffentlich von „Schnittmengen“ zwischen beiden Parteien zu sprechen. Und dass man Koalitionsverhandlungen mit den Roten nicht ausschließe – freilich, alles andere wäre taktisch auch ungeschickt.

Nun gut, dann gäbe es noch die Variante, dass Kickl überhaupt auf einen Koalitionspartner pfeift und sich in eine Minderheitsregierung wagt, wie es das etwa unter Bruno Kreisky 1970 gegeben hat. Übrigens wurde diese Regierung damals mit Unterstützung der Freiheitlichen angelobt. Nur: Kreiskys SPÖ hatte damals 48,5 Prozent – es ist ein Unterschied, ob man sich von diesem Wert ausgehend Mehrheiten organisieren muss, oder, so wie es bei Kickl wäre, mit weniger als 30 Prozent. Davon abgesehen wäre die Gefahr per Misstrauensvotum abgesägt zu werden, groß. Realpolitisch ist das also auch keine denkbare Variante.

Nehammers letzte Kanzlerhoffnung

Was bleibt also noch: Eine Koalition aus Schwarz-Rot – und zwecks der stabilen Mehrheit im Parlament unter Umständen mit einem dritten Partner. Am ehesten kämen da die Neos infrage. Aber auch da kündigen sich Verhandlungen aus der Hölle an. Wenn zwei so gegensätzliche Parteien miteinander ein Regierungsprogramm schnüren, muss jede einen Erfolg für sich verkaufen. Andreas Babler liegt vor allem wirtschaftspolitisch kilometerweit links von der ÖVP. Mit den Schwarzen wird es aber weder so etwas wie Vermögenssteuern oder eine 32-Stunden-Woche geben. Bablers Herzensthemen werden dort als wirtschaftspolitisches Gift betrachtet und sind bei der eigenen Klientel nicht durchzubringen.

Wäre Babler nicht Babler, wären die Verhandlungen mit den Schwarzen vielleicht einfacher – dessen ist man sich auch innerhalb der SPÖ bewusst und weint immer öfter auch laut dem wirtschaftsfreundlichen Ex-Parteichef Christian Kern hinterher. Die SPÖ brennt auf eine Regierungsbeteiligung – die Oppositionsbank hat man nie gern (und gut) gedrückt. Dafür würden so manche Kräfte in der SPÖ Babler auch opfern – er hat innerhalb der Partei (wie auch jeder Parteichef vor ihm) durchaus mächtige Feinde. Allerdings ist Babler nur dann wegzubringen, wenn er es selbst möchte. Er hat mit einer Gremienreform dafür gesorgt, dass er gut abgesichert – und nicht so einfach wegzubringen wäre. Er hat aus dem Schicksal seiner Vorgänger, die teils brutal abmontiert wurden, gelernt. 

Eine logische Koalitionsvariante liegt also nicht auf dem Tisch – die Verhandlungen werden sich zäh gestalten und lange dauern, also machen Sie es sich bequem. Schon jetzt, bevor eine Verhandlungsrunde geführt worden ist, spricht die Politik hinter vorgehaltener Hand auch über die Möglichkeit von Neuwahlen. Nur: Was genau soll denn danach besser und anders sein?

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.