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Vibe Working: Die Dummen werden durch KI nicht klüger

Vom Gedankenfetzen zum Projektplan – wie KI unsere Art zu denken und zu arbeiten verändert.

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Neulich hatte ich eine tolle Idee. Oder besser gesagt: eine vage Ahnung. Ich wusste selbst nicht so recht, was ich davon halten sollte. Also fragte ich ChatGPT.

Der Chatbot weiß ja bekanntlich immer eine Antwort, auch wenn sie falsch ist. In diesem Fall ging es mir aber gar nicht um eine sachlich richtige Auskunft. ChatGPT sollte mir nur auf die Sprünge helfen – und dabei, meine eigenen Ideen besser zu verstehen.

Unter „Vibe Working“ versteht man eine neue Arbeitsmethode, bei der KI-Sprachmodelle verwendet werden, um erste Ideen in konkrete und strukturierte Ergebnisse umzuwandeln. Der Begriff ist eng verwandt mit dem Konzept des „Vibe Coding“, das ursprünglich aus der Software-Entwicklung stammt.

Die Idee ist einfach: Man beschreibt der KI in natürlicher Sprache, was man haben möchte – ein Projektkonzept, eine To-do-Liste, einen Programmcode. Der Witz daran ist, dass der „Vibe“ keine durchdachte, detaillierte Eingabe sein muss. Eine grobe Richtung, ein kurzer Impuls reicht aus.

Oft schwirrt uns etwas durch den Kopf, das wir nicht einordnen können. Irgendwelche spontane Assoziationen, scheinbar wirre Gedankenfetzen oder abstruse Einfälle. Oft wissen wir einfach nicht, wohin das führt. Und wir verbringen viel Zeit damit, unsere Ideen zu strukturieren und auszuarbeiten. „Vibe Working“ kann diesen Vorgang beschleunigen.

Auf perfekte „Lösungen“ kommt es dabei nicht an. Es geht nicht darum, dass die KI das fertige Ergebnis liefert. Entscheidend ist der Prozess – der Dialog zwischen Mensch und KI. Probieren Sie einfach eine Idee aus, die Ihnen gerade in den Sinn kommt. Prüfen Sie die Antwort von ChatGPT, stellen Sie kritische Fragen. Lassen Sie sich alternative Sichtweisen geben. Wiederholen Sie das Ganze, bis Sie mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Ziel ist es nicht, den eigenen Denkprozess vollständig zu automatisieren, sondern schneller von diffusen Ideen zu durchdachtem Handeln zu kommen. Wie produktiv das wirklich ist, können nur Sie selbst herausfinden. Die größte Gefahr dabei ist die kognitive Bequemlichkeit im Dienste der Effizienz. Die Vorstellung ist verlockend: Man hat einen Geistesblitz – und den Rest erledigt die KI. Aber so einfach funktioniert das nicht.

Um wirklich produktiv mit Sprachmodellen arbeiten zu können, braucht man eine gewisse Expertise in einem Bereich. Die Dummen werden durch KI nicht klüger. Wirklich geniale Einfälle kommen nicht aus dem Nichts, sondern durch Intuition, die wiederum auf langjähriger Expertise beruht. Wer sich auf einem Gebiet sehr gut auskennt, kommt manchmal auf Ideen, die er spontan als sinnvoll erkennt, ohne sie begründen zu können.

Sprachmodelle können helfen, solche Ideen weiterzuentwickeln – zumindest solange die Trainingsdaten dies zulassen. Ob sie wirklich völlig neue Ideen generieren können, wird von vielen KI-Experten bezweifelt. In den meisten Arbeitskontexten ist diese Art von Kreativität aber auch gar nicht erforderlich. Oft reicht es, Bekanntes neu zu kombinieren.

Ob der Hype um „Vibe Working“ gerechtfertigt ist, wird sich in der Praxis zeigen. Sicher ist, dass sich insbesondere die Wissensarbeit durch generative KI, vor allem durch Sprachmodelle, derzeit stark verändert. Die möglichen Effizienzgewinne sind enorm: So erledigen Mitarbeiter eine Aufgabe im Schnitt dreimal so schnell, wenn sie dafür KI nutzen, ergab eine Studie der Stanford University.

Die große Frage ist, ob dadurch Arbeitsplätze wegfallen – oder ob die Mitarbeiter produktiver werden. Im ersten Fall ersetzt KI den Menschen, im zweiten Fall unterstützt sie ihn. Welcher Effekt letztlich überwiegt, wird wesentlich davon abhängen, welche neuen Arbeitsformen wir entwickeln – und welche Experimente wir dabei wagen. Das eigentliche Versprechen von „Vibe Working“ liegt nicht darin, dass wir Zeit und kognitiven Aufwand sparen.

Effizienz ist nicht alles. Am Ende kommt es auf gute Arbeit an, die einen Nutzen und einen Wert hat – für andere wie für uns selbst. Arbeit sollte uns Befriedigung und Sinn verschaffen. Und gute „Vibes“ sowieso.

Thomas Vašek

Thomas Vašek

war in den 1990er-Jahren Investigativjournalist bei profil. Heute ist er Co-Chefredakteur der Zeitschrift „human“, die sich mit den Auswirkungen von KI auf Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur beschäftigt.