Kolumne

Den Kopf freikriegen

Das Regierungsprogramm sieht ein Verhüllungsverbot bis 14 vor, und das ist nicht so falsch.

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Mädchen müssen sich frei bewegen dürfen. Mädchen müssen laufen, klettern, herumtoben, Fußball spielen und schwimmen dürfen. Mädchen sollen bei allen körperlichen Aktivitäten nicht mehr Einschränkungen erfahren als Buben. Wenn Mädchen spezielle Kleidungsstücke tragen müssen, die ihnen die freie Bewegung verwehren, dann ist das nicht in Ordnung und widerspricht unserer Auffassung von der Gleichstellung der Geschlechter. Wenn Mädchen ihre Köpfe verhüllen und ständig darauf achten müssen, dass die Verhüllung nicht verrutscht, wenn sie ihre Gesichter verschleiern und aufpassen müssen, dass jeder Zentimeter ihrer Haut mit Stoff bedeckt ist, dann verstößt das gegen ihre Menschenrechte.

Das neue Regierungsprogramm sieht ein Verbot des Mädchenkopftuchs bis zum 14. Lebensjahr vor. Verfassungskonform soll es sein, steht drin. Wie das formuliert wird und ob die Formulierung dann wirklich als verfassungskonform durchgeht, ist unklar. Aber es ist gut, dass der Versuch unternommen wird, sich mit dieser Frage ernsthaft auseinanderzusetzen.

Der Verhüllungszwang für weibliche Menschen, den religiöse Traditionen vorgeben, beruht auf der diskriminierenden Vorstellung, dass der weibliche Körper Männer zu unmoralischen Wünschen und Handlungen verführt, wenn er den männlichen Blicken nicht so weit wie möglich entzogen wird. In seiner äußersten Konsequenz führt dieser Gedanke in Afghanistan gerade dazu, dass Frauen lebendig eingemauert werden. Das heißt, sie werden in fensterlose Räume gesperrt und dürfen die Häuser, innerhalb derer sich die fensterlosen Zonen befinden, nicht verlassen.

So pervers geht es bei uns im Westen nicht zu. Aber jede Form von spezifischer Frauenverhüllung folgt der Idee, dass der weibliche Körper eine ständige Versuchung zur Sünde darstellt. Wenn erwachsene Frauen sich dieser Auffassung unterwerfen, dann ist das ihre Entscheidung. Weibliche Kinder sollten jedoch davor bewahrt werden, im Bewusstsein aufzuwachsen, dass ihre körperliche Beschaffenheit moralisch suspekt ist und andere Menschen (Erwachsene, aber auch männliche Kinder) dazu berechtigt, ihre Persönlichkeitsrechte zu beschneiden. Wie zahlreich die Fälle sind, in denen das passiert, ist unerheblich für den grundsätzlichen Anspruch weiblicher Menschen auf unversehrte Persönlichkeitsrechte.

Weil jetzt sicher wieder der Verweis auf die Kippa kommt: Die Kippa ist nicht das Gleiche wie Hijab, Tschador oder Niqab. Kein männlicher Jude soll die Kippa tragen, um Frauen vor unkontrollierbarem Begehren zu bewahren, und in keiner religiösen Tradition wird Männern von klein auf beigebracht, dass ihre Körper eine Verführung zum Bösen sind.

Und weil jetzt sicher der Einwand kommt, dass auch die FPÖler ein Kopftuchverbot fordern: Ja, es ist ärgerlich, dass diese Frauenrechte missachtende Truppe so tut, als ginge es ihr um eine Gleichstellung der Geschlechter und nicht um die hetzerische Stigmatisierung einer Bevölkerungsgruppe, aber deswegen dürfen wir uns kein Diskussionsverbot auferlegen. Und vor allem dürfen wir kleine Mädchen nicht im Stich lassen, die ein Recht darauf haben, so frei aufzuwachsen wie ihre Brüder.

Und weil sich jetzt schon wieder die Hinweise auf die eigene Oma mehren, die man nur mit Kopftuch gesehen habe, sowie die Behauptung, dass die Frauen auf dem Land generell mit Kopftüchern auf den Feldern tätig wären: Wann, liebe Leute, wart ihr zuletzt auf dem Land? Die moderne Bäuerin schaut längst nicht mehr aus wie die Ahnfrau anno 1910, und statt sich unterm Kopftuch durch Ackerfurchen zu harken, trägt sie ein Käppi und fährt mit einem Traktor übers Gelände.

Was die Oma betrifft, die ihr Haupt ebenfalls verhüllt habe, so hat es vielleicht einen guten Grund, dass wir das Leben, das sie führte, und die frommen Regeln für züchtiges Verhalten, denen sie sich fügen musste, nicht mehr ganz so super und beispielgebend finden.

Aber wo bleibt die Toleranz? Ja, wo bleibt sie, wenn Frauen misshandelt oder gar getötet werden, weil sie es wagen, ihr Haar unbedeckt in der Öffentlichkeit zu zeigen?