„Ohne Worte“
Im Berufsverband der österreichischen Psychotherapeut:innen macht sich Unmut breit. Verständlich, ist doch eine Kollegin gerade durch Cybermobbing aufgefallen. Das wird zu Recht als Schaden für den Berufsstand gesehen. Menschen im Internet fertigmachen zu wollen, ist schlimm genug. Aber wie bezeichnet man es, wenn eine Psychotherapeutin, deren Aufgabe es ist, mit der Psyche anderer Menschen besonders achtsam umzugehen, öffentlich in „Stürmer“-Manier gegen eine Person hetzt?
Der Fall ist inzwischen durch die Medien gegangen: Marie-Christine Giuliani, einstige Fernsehmoderatorin, mittlerweile Psychotherapeutin, aber auch wütende Gegnerin der Covid-Impfung und neuerdings FPÖ-Abgeordnete im Parlament, postete auf X ein nicht gerade schmeichelhaftes Foto von Gesundheits- und Sozialministerin Korinna Schumann und schrieb dazu: „Darf ich vorstellen: unsere Gesundheitsministerin! Ohne Worte.“
„Ohne Worte“ schreibt man, wenn das Gezeigte sich selber entlarvt, sodass man die Kritik daran gar nicht mehr verbalisieren muss. Das Gezeigte kann ein Zitat sein oder eine Geste oder ein bestimmtes Verhalten, und häufig handelt es sich dabei um etwas Dummes, Lächerliches oder sonst wie Abzulehnendes.
Auf dem Posting der Frau Giuliani wurde einfach nur die Gesundheitsministerin gezeigt. Ihr Erscheinungsbild war das, was Giuliani zufolge keiner Worte bedurfte, um sich als anstößig zu entlarven.
Dieses Vorgehen kennt man, und man weiß auch, wohin es führt. Menschen werden aufgrund ihrer – tatsächlichen oder auch nur behaupteten – physischen Beschaffenheit abgewertet und dem allgemeinen Hohn preisgegeben. Die Merkmale, die als Nachweis ihrer angeblichen Minderwertigkeit gelten, können völlig willkürlich gewählt werden: Hautfarbe, Nase, (krause) Haare, Körpergewicht – der Niedertracht sind keine Grenzen gesetzt.
Im Fall Schumann ging die böse Saat der FPÖ-Abgeordneten zumindest teilweise auf. Ihr Posting zog zunächst eine Flut von Beschimpfungen der Ministerin nach sich, die Giulianis fehlende Worte durch Unrat und Unflat ersetzten. Die Provokation zeigte (die vermutlich erwünschte) Wirkung.
Erst als „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk die Posts entdeckte und Giuliani auf X scharf zurechtwies, setzte eine Art Gegenbewegung ein. Giuliani erntete böse Kommentare im Netz und in Zeitungen. Kurz versuchte sie, sich herauszureden. Sie habe Schumanns Outfit gemeint, das ihrer Meinung nach der Würde des Hohen Hauses keinen Respekt gezollt habe (eine schwer nachvollziehbare Behauptung, es sei denn, man glaubt, die Würde des Hohen Hauses verlange nach einem Styling à la Melania Trump), aber als Tatsache blieb: Die FPÖ-Abgeordnete Giuliani hatte versucht, die SPÖ-Ministerin Schumann unter der Gürtellinie zu treffen. Was auf den ersten Blick an das Benehmen einer verhaltensauffälligen Halbwüchsigen erinnern mag, die auf dem Schulhof nach einer Mitschülerin tritt, zeigt auf den zweiten, dass hier ernstlich Gefahr droht, die über den Anlassfall hinausgeht. Nicht nur der Berufsstand der Psychotherapeut:innen, sondern auch die von Giuliani missbräuchlich zitierte Würde des Hohen Hauses nimmt Schaden, wenn Parlamentarier:innen anfangen, andere mit Cybermobbing zu bekämpfen.
Die Präsidentin des Psychotherapieverbandes wandte sich inzwischen besorgt in einem offenen Brief an das Präsidium des Nationalrats, um eine öffentliche Stellungnahme zu erbitten, das Büro von Doris Bures antwortete, es stehe der Dritten Präsidentin nicht zu, Abgeordnete für Äußerungen, die außerhalb des Nationalrats erfolgen, zur Ordnung zu rufen. Es brauche einen öffentlichen Diskurs mit einer kritischen medialen Berichterstattung und sachlich fundierten Debattenbeiträgen.
Ja, eh. Erklären wir den Diskurs für eröffnet. Auf parlamentarische Debattenbeiträge wird gespannt gewartet.
Im Übrigen ist es geradezu unerträglich, das unermüdliche impffeindliche Gegeifer rechter Nationalratsabgeordneter anhören zu müssen, während sich in Österreich die Masern seuchenartig ausbreiten, weil „impfmüde“ Eltern desinformiert das Leben ihrer Kinder riskieren.