Wollen und Können mit KI
Gleich zu Beginn die Zahlen, damit sich die Lowliner bei der persönlichen Aufmerksamkeitsspanne das Weiterlesen ersparen können. Für 97 Prozent der Unternehmen weltweit ist der Einsatz von KI in den letzten Monaten dringender geworden, aber nur sieben Prozent der Vorreiter sind vollständig auf den Einsatz von KI vorbereitet. Sie sind damit natürlich nicht gemeint, sondern nur die anderen, und ja, die Studie ist nicht ganz aktuell, weil schon ein paar Monate alt. Wir werden wahrscheinlich Ende des Jahres sehen, was das Update bringt, aber nach allem, was ich in den letzten Monaten an Marktentwicklung gesehen und gehört habe, und nach vielen Projekten und Diskussionen von Vorständen und Geschäftsführern gehe ich davon aus, dass es eher kriechend als rennend nach oben geht.
– Das haben wir gemacht, das hat nicht funktioniert, also warten wir ab, wie sich der Markt entwickelt.
– Was machen die anderen, können Sie uns ein bisschen helfen?
– Wir wissen genau, wie das geht, und wir werden das alles selbst entwickeln (leider haben wir keine freien Ressourcen und auch kein Fachwissen, Anm. des Autors).
Das sind nur drei Aussagen, die ich in letzter Zeit von CEOs oder CIOs gehört habe, wenn es um das Thema KI-Prozesse im Unternehmen ging.
Ja, ich versuche vehement, Zynismus zu vermeiden, was mir nicht immer ausreichend gelingt. Aber zur Sache. Während in der LinkedIn- und Conference-Bubble die Entwicklung mit Lichtgeschwindigkeit voranschreitet, ist in der Realität davon wenig zu sehen. Hier ein kleiner Rückblick: Noch vor einem Jahr gab jeder Vorstand und Geschäftsführer, der sich als Vorreiter unter seinen Kollegen sehen wollte, die Devise aus: Wir müssen rein ins Thema und schnell Strategie und Projekte auf den Weg bringen. Manchmal sogar mit der Idee, mit der eigenen IT-Abteilung in die Tiefen der Technik hinabzusteigen. Das Ergebnis ist gelinde gesagt ernüchternd, die Mehrzahl der Projekte befindet sich noch in der Testphase oder, wie es im Fachjournal genannt wird, „POC – Proof of Concept Phase“, und die Vermutung ist, dass viele den harten Alltag des Tagesgeschäfts gar nie erreichen werden.
Bei den extern eingekauften KI-Lösungen sind wir auch eher langsam unterwegs, was auch daran liegt, dass selbst für kleine Anwendungen die Fragenkataloge für den Datenschutz und die Datensicherheit schnell mal über 100 Fragen hinausgehen. Diese müssen von den Start-ups beantwortet werden, was oft aufwendiger ist als das gesamte KI-Projekt. Die mit Abstand coolste Frage, die ich in Erfahrung bringen konnte, kam von einem Konzern, der die Adresse des Servers des Rechenzentrums in Deutschland wissen wollte, auf dem seine Daten physisch liegen. Dabei ging es übrigens bei den Daten um öffentlich zugängliche Betriebsanleitungen. Und hier hat der EU AI Act noch nicht einmal seine Wirkung gezeigt.
Was wir brauchen, sind die Mutigen und Neugierigen, die auch pragmatisch Projekte auf den Boden bringen, die an einem Thema dranbleiben, die mit den Anwendern, die ja am besten wissen, was ihnen im Alltag hilft, an der Lösung arbeiten, um zu lernen, was geht und was nicht geht, die die Rückendeckung der IT und des Vorstands haben und im Zweifelsfall eben nicht gleich mit Patientendaten und deren Befunden über schwere Krankheiten arbeiten. Wir werden die Bürokratie nicht ändern können, was wir aber tun können, ist, nicht gleich daran zu denken, alle Verkehrszeichen zu lernen und dann noch ein Auto zu bauen, sondern erst mal lernen, ein Auto zu fahren – und damit dann auch gleich im übertragenen Sinne anfangen zu üben.
Nur wenn wir vom Wollen zum Tun kommen, werden wir auch können.