Der Maschinist

World Wide West

Von der Leine gelassene Tech-Konzerne mit Unterstützung der eigenen Regierung lassen den digitalen Wilden Westen zurückkehren, in dem der Stärkere gewinnt und einige wenige ihre eigenen Regeln aufstellen möchten.

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Mit dem Wahlsieg von Donald Trump treten viele amerikanische Anbieter digitaler Technologien intensiver und vor allem offener und aggressiver als bisher auf. Während in der EU noch diskutiert wird, was allen an Trump nicht gefällt, bereiten sich die amerikanischen Digitalkonzerne auf ein neues goldenes Zeitalter vor.

Es gab bereits Anzeichen für diesen neuen Ansatz. Als Elon Musk 80 Prozent der damaligen Twitter-Belegschaft entließ, sagten alle, er werde damit scheitern, weil jeder dachte, es sei unmöglich, 80 Prozent der Belegschaft zu entlassen, ohne das Unternehmen zu gefährden. Twitter wurde X und lebte weiter. Der nächste Aufschrei kam, als er die Contentmoderation aufgab. Er war nicht der Einzige, denn kürzlich folgte ihm der Meta-Konzern von Mark Zuckerberg und beendete ebenfalls die Moderation von Inhalten, bei der die Plattformen Inhalte löschen, die zwar nicht illegal sind, aber vielen nicht gefallen, oder die einfach falsch sind.

Man könnte meinen, dass diese Tech-Bosse jetzt Trump folgen, aber das ist nicht der Fall. Vielmehr war das schon immer so, jetzt zeigen sie es einfach nur wieder ganz offen.

Viele, vor allem diejenigen, die ich bereits erwähnt habe, waren immer der Meinung, dass man gegen Bots und soziale Themen vorgehen muss, aber nicht gegen das, was sie als freie Meinungsäußerung betrachten. Das heißt: Entweder ist es gesetzlich geregelt oder man darf es sagen, auch wenn es falsch ist.

Dazu muss man wissen, dass in den USA das Pendel in der Corona-Zeit viel stärker ausgeschlagen hat als bei uns, wo, getrieben von Teilen der Öffentlichkeit, politische Parteien und der Staat Einfluss auf die Inhalte der digitalen Plattform genommen haben sollen.

Das allein würde ja noch nicht ganz ausreichen, um die Rückkehr des Wilden Westens zu behaupten. Es sind die vielen anderen öffentlichen Äußerungen, die den Eindruck erwecken, dass in der digitalen Welt der Stärkere gewinnt, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Mark Zuckerberg hat in einem öffentlichen Podcast sogar erklärt, er wünsche sich, dass die Regierung „seinen“ Tech-Konzern verteidige, da dieser in der EU bereits viele Milliarden an Strafen zahlen musste.

Ja, das ist richtig, und diese Zahlungen beziehen sich meistens auf Verstöße gegen EU-Vorschriften. Der Grund, warum das als Angriff empfunden wird, ist nicht so sehr, dass es Regulierungen gibt, sondern dass sie sich – aus der persönlichen Sicht von Mark Zuckerberg und seinen Kollegen – ausschließlich gegen amerikanische Unternehmen richten. Wenn wir jetzt hören, dass es Zölle geben soll, und alle von einem Handelskrieg sprechen, dann dürfen wir nicht vergessen, dass sich die amerikanischen Tech-Unternehmen noch gut an Themen wie die Digitalsteuer erinnern, die so konzipiert ist, dass sie möglichst nur amerikanische Unternehmen trifft.

Wenn man sich dann noch vor Augen führt, was der CEO des führenden militärischen und staatlichen KI-Dienstleisters Palantir gesagt hat, dann sind wir wirklich wieder im Wilden Westen. Alexander Karp äußerte sich auf einer Militärkonferenz sehr direkt, indem er die KI-Revolution als US-KI-Revolution bezeichnete: Amerika sei führend und solle diesen Vorteil weltweit nutzen. „Nach der Bombe ist dies das zweite Mal, dass Amerika einen großen Vorteil gegenüber dem Rest der Welt hat, den es zu nutzen gilt“, so Karp.

Im Moment beschäftigen sich die führenden Staaten der EU mit sich selbst und beziehen außer Plattitüden keine Position. Wenn wir uns auf den zu erwartenden nächsten digitalen High Noon vorbereiten, sollten wir uns darauf einstellen, dass wir dem nicht mit einem neuen Waffengesetz und einer Diskussion am runden Tisch begegnen können.

Jeder sollte bereit sein, seinen Beitrag zu leisten, und nicht nur darauf warten, dass die Politik oder wer auch immer etwas tut, damit nicht nur der gewinnt, der die größte Kanone hat. „Make EU great again“ muss die Devise sein, und wir müssen unsere eigenen Unternehmen unterstützen und in die Lage versetzen, im High Noon gegen die US-Cowboys anzutreten und zu gewinnen.

Gerhard Kürner

Gerhard Kürner

ist als Gründer von 506.ai Experte für künstliche Intelligenz. profil entführt er in seiner Kolumne „Der Maschinist“ ein Mal pro Monat in die technologische Zukunft.