Der wahre Schuldige
Er hält sich wohlweislich bedeckt. Seit dem Ausbruch der Staatskrise, die am Ende womöglich Herbert Kickl auf den Ballhausplatz bringt, hat man von ihm weder etwas gesehen noch gehört. Er wird schon wissen, warum. Und seine Taktik geht ja auch auf. Bislang ist in keiner der Hunderten Analysen zur Causa prima mit dem Finger auf ihn gezeigt worden. Er wird mittlerweile durchaus schon die berechtigte Hoffnung hegen, dass das auch so bleibt und er tatsächlich ungeschoren davonkommt.
Aber: Nicht mit uns.
Wir scheuen uns nämlich nicht, den Namen jenes Mannes zu nennen, der das alles verhindern hätte können. Er liegt ja ohnehin auf der Hand – man muss ihn nur sehen wollen. Es ist natürlich: Martin Thür.
Sie erinnern sich: Das ist jener ganz offensichtlich schwer hobbylose Mann, der seine Zeit abseits des Bildschirms mit dem Zählen von Delegiertenstimmen bei öffentlich aufgeführten roten Tragikomödien verbringt. Und wenn ihm dabei das Fehlen auch nur einer einzigen auffällt – das nicht nobel für sich zu behalten. Thür entschied sich vielmehr dafür, die SPÖ als eine Partei vorzuführen, die rein mathematisch eins und eins nicht zusammenzählen kann. Aber zum Ausgleich dafür ja wenigstens politisch, oder?
Denn es war ja zuerst eine Glanzentscheidung der vielen Neo-Parteimitglieder, die sich zu weiten Teilen aus den antikapitalistisch bewegten werktätigen Massen auf Twitter rekrutierten, Andreas Babler zuerst auf Platz zwei bei der Mitgliederbefragung zu bringen. Und danach auch von Michael Ludwig und seinen Delegierten, ihn unter nachträglich geänderten Spielregeln beim Parteitag zum Sieger zu küren – um den Rechtsruck verhindern, natürlich. Und also der eher rechteren Stimmungslage in der Bevölkerung mit einem Kandidaten Rechnung zu tragen, der sein Programm in einer in den Siebzigerjahren in Semperitkirchen vergrabenen Zeitkapsel gefunden hat. Und dann diese Reden, mit denen er von Anfang an seine Jünger begeisterte! Also eigentlich war und ist es bis heute ja ein und dieselbe, aber dennoch: das größte rhetorische Talent in der heimischen Politik seit wenigstens 20 Jahren! Also seit dem großen Herbert Haupt.
Leider wird die vergangene Wahl wohl die letzte für längere Zeit gewesen sein, bei der die SPÖ zumindest noch auf einen Sieg hoffen durfte. Mittelfristig wird hier eher das Prinzip „Feuchttraum“ regieren. Aber hey: Immerhin gelang es dem Che der Thermenlinie nicht nur bei den Wahlen, um kurz Sportreporterdeutsch zu verwenden, sehr erfreuliches Edelmetall zu gewinnen (und das nebenbei gesagt auch noch unter widrigsten äußeren Umständen, wie zum Beispiel dem Vorhandensein von Konkurrenten). Nein, darüber hinaus konnte er auch die folgenden Koalitionsverhandlungen lange Zeit ausgeglichen gestalten, nur um dann in letzter Minute durch zwei Abseitstore der unbeweglichen und foul spielenden Gegner denkbar knapp mit 1:2 zu verlieren.
Das ist schon frustrierend auch, ja. Dann kann man schon einmal „cholerisch und destruktiv“ werden. Auch wenn man ansonsten ein wirklich guter Mensch ist. Der Beweis: Andreas Babler führt einen Klassenkampf für Menschen, die in ihm leider nicht den roten Messias sehen, sondern eher ein rotes Tuch. Und meist längst schon FPÖ wählen. Und am Ende verhilft er damit deren Idol Herbert Kickl auch noch zum Kanzleramt. Wenn das kein Altruismus ist, dann weiß ich auch nicht.
Dennoch blieben gfeanzte Journalistenfragen – die Falotten haben den Andi ja von Anfang an niedergeschrieben – zu seinem eventuellen Rücktritt nicht aus. Er parierte sie live im ORF souverän so: „Ich spüre einen sehr starken Rückhalt aus allen Teilen der Partei, das is, äh …, auch gezeigt hat, dass a gute Entwicklung in der Sozialdemokratie nach vielen Jahren, die nicht so gelaufen sind, wie sie laufen hätten sollten, net nur eingeleitet wurde, sondern wir san gut aufgestellt, wie ma sieht auch, äh …, mit unserer parlamentarischen und politischen Kraft, oba natürlich a da Rückhalt aus den Landesorganisationen.“
Besser kann man es nicht ausdrücken. Zumindest nicht in der SPÖ. Und selbstverständlich setzt ja die Partei mit Babler weiterhin auf das richtige Pferd. Also auf ein leicht zerzaustes, aber sehr eifriges One-Trick-Pony, das verbissen immer und immer wieder dasselbe sympathisch linkische Kunststück vollführt, obwohl schon beim ersten Mal niemand geklatscht hat. Und den heroischen Oppositionsführer gegen einen Kanzler gibt, den es ohne ihn nicht gäbe. Außerdem will ja Michael Ludwig vor der Wien-Wahl Ruhe in der Partei haben, und wenn es ihm und der Wiener SPÖ gut geht, ist das ja bekanntlich auch immer gut für Österreich.
Und was diesen Thür betrifft: Beim nächsten aufkeimenden Drang, mit unmöglichen Zahlen zu hantieren – gebt ihm ein Sudoku. Ein schweres.