Verpfeift sie!
Es ist fast immer die gleiche Geschichte. Am Rande von Veranstaltungen oder diskret und anonym übers Internet kommen sie, die Hinweise über inkompetente, korrupte, autoritäre und rechthaberische Vorgesetzte – in allen Gewerken, öffentlich-rechtlich wie privatwirtschaftlich.
Haarsträubende Geschichten hört man da, die man für pure Aufschneiderei und Übertreibung halten würde, wenn man nicht über Jahrzehnte hinweg im Journalismus gelernt hätte, dass die Geschichten, die Whistleblower aus Organisationen zu berichten wissen, noch mit angezogener Handbremse geschrieben sind. Das Dilemma dringt aus jedem Satz: Der oder die hat das gemacht, das getan, dieses unterlassen – aber wir haben mitgemacht, indem wir zu lange geschwiegen haben. Auf der einen Seite Mut und Anstand. Auf der anderen Seite pure Angst.
So was gibt es auch – um nicht zu sagen: gerade – in Österreich ja nicht selten, und ich frage mich immer, welche Umstände es möglich machen, dass in diesem Land solche Leute so weit nach oben kommen. Wie ist es möglich, dass gelebte Unseriosität auf so viel Unterstützung stößt – oder vielleicht doch eher: auf so wenig Widerstand. Wie ist
es möglich, dass Regierungsmitglieder, Spitzenpolitiker, hohe Beamte, Mitarbeiter der Verwaltung in gehobenen Positionen sich aufführen wie Handtaschenräuber und Klingelbeutelausleerer? Und warum wird das, nicht nur gefühlt – schaut mal ins Archiv – immer dichter, immer mehr?
Als ich, vor mehr als 30 Jahren, bei profil als Redakteur anheuerte, war das bereits ein allgegenwärtiges Thema. Die Spezialität des Hauses war von jeher Investigatives und Kritisches, also alles, was den illegitimen Interessen der Gfraster im Wege lag, die in Österreich immer so weit kommen. Die dahinterstehende journalistische Arbeit sieht im Ergebnis einfach aus, ist aber extrem schwierig und undankbar. Investigative bohren in harten Brettern, und Zeugen reden nur „off the record“, aus Angst.
Das liegt an ihren Abhängigkeiten – Mitarbeiter von korrupten oder halbseidenen Leuten wissen meistens Bescheid, aber wenn sie singen, ist nicht nur ihr Chef weg, sondern meist auch der eigene Job. Denn meistens wird ja in Tatgemeinschaft gehandelt, und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, nicht aus Anstand, sondern weil die sonst vielleicht vorm Staatsanwalt zu zwitschern beginnt.
Je stärker die materiellen Abhängigkeiten sind, desto schwieriger wird es, in einem Unternehmen oder einer Behörde, einer Partei oder sonst wo erkanntes Unrecht ans Licht zu bringen. Dazu kommt der Unsinn, dass Whistleblower, die Zeugen der Gerechtigkeit, als Verräter abgestempelt werden, nicht nur in der Organisation, in der die Täter sitzen, sondern auch gesellschaftlich.
Man liebt den Verrat, aber nicht die Verräter – so heißt es. So kommen die Unguten und Wortbrüchigen davon, wie die Kriminellen und Korrupten, die Manipulativen und Verschlagenen. Das zerstört auf Sicht das moralische Klima im Land und damit auch die Glaubwürdigkeit all seiner Institutionen. Die Leidtragenden sind dann einmal mehr die, die sich an die Regeln halten, mit offenen Karten spielen und nicht hintenrum, wie die Schlange Kaa im „Dschungelbuch“, ständig „vertraue mir“ säuseln, was man im Regelfall bereits als halbes Geständnis werten darf. Wer dauernd von Vertrauen redet, hat meist das Gegenteil im Sinn. Und die Betrogenen schämen sich dann auch noch, betrogen worden zu sein. Wollen wir das hinnehmen?
Kommt gar nicht infrage. Der Rechtsstaat und seine Kultur müssen die Guten schützen vor den Bösen. Zeugen und Whistleblower brauchen dazu nicht nur den besonderen Schutz des Staates, sondern auch eine Kultur, die sie für ihren Mut und ihre Entschlossenheit in Sachen Gerechtigkeit feiert, nicht abstraft. Macht kaputt, was euch – und euer Land – kaputtmacht!
Nehmt euch ernst. Korruption, Lüge, Betrug und Manipulation hinnehmen heißt sich aufgeben. Also: Verpfeift sie, wo ihr sie trefft.
Es lebe der Verrat an den Verrätern.