Meinung

Krieg und Frieren

Das Erneuerbare-Wärme-Gesetz ist entweder eine Kapitulation vor der Wut vieler Wähler – oder die ehrliche Einsicht, dass sich die Klimaziele im Wärmebereich bis 2040 einfach nicht ausgehen. Was jetzt noch bleibt, ist die Hoffnung auf den kollektiven Menschenverstand.

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Wir haben derzeit so viele Kriegs- und Konfliktherde, dass manche Angriffe einfach untergehen. Vergangene Woche bemerkte die Betreibergesellschaft der Pipeline Balticconnector, die durch die Ostsee zwischen Finnland und Estland verläuft, einen Druckabfall. Inzwischen ist klar: Die Pipeline, die noch immer außer Betrieb ist, wurde durch Fremdeinwirkung beschädigt. Finnische Seismologen sehen sogar Anzeichen einer Explosion. Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine wäre das der zweite Angriff auf die europäische Energieinfrastruktur. Vor einem Jahr wurde die Nordseepipeline Nord Stream durch eine Explosion schwer beschädigt und ist seither stillgelegt. Wer auch immer für die Sabotage verantwortlich zeichnet, hat jedenfalls wenig Interesse an einer autonomen, funktionsfähigen innereuropäischen Energieversorgung.

Auf den ersten Blick hat diese zweite Pipeline-Sabotage wenig mit Österreich zu tun. Auf den zweiten Blick betrifft sie uns aber sehr wohl. Denn während österreichische Energieunternehmen zwar eigene Gaslieferverträge abschließen und Transportkapazitäten im Pipelinenetz buchen können, hat Österreich keine eigene autonome Gasversorgung. Es gibt nur ein europäisches Pipelinenetz. Wenn irgendwo an der Peripherie kein Gas in das System eingespeist werden kann, fehlt es im gesamten Netzwerk. Und das treibt den Gaspreis für alle in die Höhe. Genau das mussten wir im Sommer 2022, als Russland die Gaslieferungen eine Zeit lang massiv gedrosselt hat, schmerzhaft erfahren. Jeder Ausfall in der europäischen Gasinfrastruktur trifft uns auch hierzulande, nicht zuletzt in unseren Gas- und Stromrechnungen.

Und damit sind wir auch schon beim Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das die Regierung diese Woche vorgestellt hat – in deutlich abgeschwächter Form zum ursprünglichen Entwurf. Ab 2024 sollen im Neubau keine Gas- und Ölheizungen mehr verbaut werden dürfen. Im ursprünglichen Entwurf war ein Verbot für alle Haushalte ab 2040 vorgesehen. Das Gesetz, für das eine Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig ist, scheiterte damals an der Zustimmung der SPÖ.

Ehrliches Eingeständnis

Statt der zunächst geplanten Tauschpflicht gibt es jetzt ein Milliarden Euro schweres Förderpaket – drei Viertel der Kosten werden vom Bund ersetzt – und die Hoffnung, dass alle schnell zugreifen. Denn bis 2040 will Österreich klimaneutral werden. Und um das zu erreichen, müssten so gut wie alle fossilen, alten Heizsysteme ausgetauscht werden.

Vielleicht ist die Abschwächung im Gesetz ein Resultat der Angst, sich ein Jahr vor der nächsten Nationalratswahl dem Wählerzorn zu stellen. Oder es handelt sich um ein (im Grunde ehrliches) Eingeständnis: Ein derart massiver Umbau des heimischen Heizsystems würde sich laut Experten zwar ausgehen, aber in der Praxis wird es verdammt schwierig – ohne Zwang jedenfalls, und auch mit einem solchen scheint es fast unmöglich. Damit bis 2040 keine fossilen Heizungen mehr in Betrieb sind, müssten fast 600.000 Gasheizungen ausgebaut werden und mit nachhaltigen Systemen ausgetauscht werden. Das wären über 17 Jahre hinweg rund 100 pro Tag.

Damit bis 2040 keine fossilen Heizungen mehr in Betrieb sind, müssten fast 600.000 Gasheizungen ausgebaut werden und mit nachhaltigen Systemen ausgetauscht werden. Das wären über 17 Jahre hinweg rund 100 pro Tag.

Vielleicht ist ein Heizungstausch im eigenen Einfamilienhaus noch relativ einfach umzusetzen. Rund die Hälfte der Haushalte in Österreich leben aber in einer Mietwohnung. Warum sollte ein Vermieter, der nicht die Gas- und Energierechnung für die Wohnung bezahlt, eine funktionsfähige Heizung tauschen – selbst wenn er oder sie 75 Prozent der Kosten zurückbekommt? Eine Heizung hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren. Wer in einem Mehrparteienhaus wohnt, weiß, wie schwierig es ist, sich mit der Hausgemeinschaft auch nur über eine gemeinsame Fußmatte fürs Stiegenhaus zu einigen. Bei einem Fernwärmewärmeanschluss oder einer Wärmepumpe im Dachgeschoß – sofern dieses noch nicht zu einem Luxusloft ausgebaut wurde – ist die Zustimmung von mindestens 80 Prozent der Eigentümer utopisch.

Also bleibt nur die Hoffnung auf den kollektiven Hausverstand – dass möglichst schnell möglichst viele Menschen entscheiden, sich von ihren alten Gas- und Ölkesseln zu trennen. Nicht nur fürs Klima, sondern auch für die eigene Geldbörse. Denn derzeit sind wir in unseren Energielieferungen entweder von Ländern abhängig, die – im Fall von Russland – Krieg gegen ein Nachbarland führen und Europa mit Energiekürzungen erpressen. Oder vom Nahen Osten, der gerade gefährlich nahe an einem Flächenbrand ist – mit allen Verwerfungen auf den Gas- und Ölmärkten, die damit einhergehen könnten. Oder von Flüssiggas-Lieferungen aus den USA, die mittels Fracking gewonnen wurden und mit immensem Energie- und CO2-Aufwand zu relativ hohen Kosten über den Atlantik verschifft werden. Und das sind nun wirklich nachhaltig unschöne Perspektiven.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".