Forschung mit Folklore
Spitzenforschung hat in Österreich lange Tradition – und eine erfreuliche Gegenwart. Man könnte an die Nobelpreise in Physik 2022 (Anton Zeilinger) und 2023 (Ferenc Krausz) denken, an die aus Wien stammenden Grundlagen für die Genschere CRISPR/Cas9 oder an Komponenten für die Raumfahrt, die hier entwickelt werden. Die Methode der Forschenden ist dabei stets dieselbe: Sie fragen nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur, stellen Thesen auf und prüfen sie mit Experimenten.
Nach diesem Prinzip handelte Isaac Newton genau wie Albert Einstein, Erwin Schrödinger ebenso wie Anton Zeilinger. Was in der Naturwissenschaft keine Rolle spielen darf, sind Wunschdenken und persönliche Weltsicht. Wer gute Naturforscher näher kennt, weiß, wie sie ticken: Getrieben von einer ansteckenden Begeisterung für ihr Fachgebiet und einer tiefen Neugier, zu erfahren, wie die Welt funktioniert, suchen sie nach objektiven Verfahren, um der Natur ein paar ihrer Geheimnisse abzutrotzen.
So funktioniert klassische Naturwissenschaft, und diese Praxis war stets Basis österreichischer Forschungserfolge. Warum hatten dann die nun gescheiterten Koalitionsverhandler von ÖVP und FPÖ den seltsamen Einfall, Österreichs Fachwelt erst zur Objektivität erziehen zu müssen?
Zwar mögen viele bisher ausformulierte Pläne jetzt obsolet sein. Dennoch ist relevant, ob und welche Inhalte von künftigen Regierungspartnern übernommen werden – und was das gegebenenfalls für die Wissenschaft bedeutet.
Vieles zum Thema klang sinnvoll und naheliegend. Kein vernünftiger Mensch wird Einwände gegen Forschung als Fundament für Fortschritt vorbringen, gegen mehr Durchlässigkeit zwischen Bildungsinstitutionen oder attraktive Rahmenbedingungen für internationale Forscher.
Manche Passagen in den Verhandlungsprotokollen warfen jedoch die Frage auf, welches Forscherbild den Parteien zu eigen ist – oder vielleicht eher, welche Erwartungen die Wissenschaft ihrer Meinung nach erfüllen soll. So wurde darin eingemahnt, die Forschung solle sich fortan „auf echte freie Wissenschaft konzentrieren“, denn ein „repressives Klima oder ideologische Eingriffe gefährden den offenen Diskurs und die Kreativität“.
Gab es bisher keine freie Wissenschaft, herrschte ein repressives Klima in der Szene? Leiteten die Verhandler ihre Schlussfolgerung von der Annahme ab, Österreichs Wissenschaft sei im Übermaß von Ideologie getrieben?
Eine vage Ahnung, was gemeint gewesen sein könnte, nährte folgender Satz: Man setze sich „für die Meinungsfreiheit als Grundlage wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Innovation ein“. Diese Maxime beruht auf einer groben Fehlannahme: Die Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis ist niemals Meinung, sondern Evidenz. Wenn Forschende im Experiment prüfen, welche Zustände Materie beim absoluten Nullpunkt annimmt, ist Meinung gänzlich irrelevant. Was zählt, sind Beobachtung und Messung. Dieses Prinzip gilt haargleich, wenn man ein unbekanntes Virus und dessen Eigenschaften studiert; wenn man testet, ob Masken vor Ansteckung schützen; wenn man ermittelt, wie sich der globale Temperaturanstieg auf die Gletscherschmelze oder die Zahlen von Hitzetoten auswirkt.
Warum diese Beispiele? Weil bei der Lektüre der Protokolle der Verdacht entstand, man könnte den Nachhall der Pandemiejahre wahrnehmen und – im Kontrast zum postulierten Gebot der Ideologiefreiheit – einen Domestizierungsversuch von Forschenden, deren Positionen zu Pandemien speziell eine Partei erzürnten und deren Ansichten zum Klimawandel beide Parteien nicht mögen.
Natürlich haben auch Forschende eine Meinung, und sie diskutieren diese gerne leidenschaftlich, allerdings auf Basis von Fakten. Das ist seit jeher gelebter Alltag, man muss dazu nicht „die Sicherheit eines pluralistischen Klimas sowie der freien Meinungsäußerung“ einfordern.
Vielleicht ist aber alles viel simpler. So wurde in den Protokollen das Ziel erwähnt, „Bildungseinrichtungen von ideologischem Ballast zu befreien, um Neutralität und Wissenschaftlichkeit zu gewährleisten“. Der nächste Satz verriet, wie man das anstellen wollte: „Ein Genderverbot sowie eine stärkere Betonung der deutschen Sprache und traditioneller Werte sind dabei essenziell.“
Einfach keine Gendersternchen, dafür mehr Folklore an den Unis und im Labor, und alles ist gut? Dieser Ansatz klingt zwar eine Spur weniger bedrohlich, dafür schlicht lächerlich – und ist in jeder Regierung entbehrlich.