Kommentar

Wer hat Angst vor Milorad Dodik?

Nach seiner Verurteilung sucht der bosnische Serbenführer die Eskalation. Aber einen echten Plan hat er nicht.

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Milorad Dodik hat von seinem Vorbild Donald Trump gelernt.

„Sie konnten euch nicht alle ins Gefängnis stecken, also haben sie mich stattdessen gewählt!“, sagte er während der Kundgebung am Dienstag. Trump argumentierte ganz ähnlich, als er selbst während seines Wahlkampfes vor Gericht stand. Das Ziel: Die Justiz diffamieren, damit am Ende nur noch die eigenen Gesetze gelten.

Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska (RS), eine der beiden Entitäten in Bosnien-Herzegowina, ist ein autoritärer, von Moskau unterstützter Separatist. Seit Jahren droht er damit, die RS vom Gesamtstaat abzuspalten. Jetzt treibt er die Eskalation auf die Spitze. Das hat mit einem Gerichtsurteil zu tun, das vom Obersten Gerichtshof in Sarajevo gefällt wurde.

Es lautet: ein Jahr Haft und sechs Jahre Amtsverbot. Was hat Dodik verbrochen? Er hat verfassungswidrige Gesetze in der RS durchgesetzt, und zwar per Dekret. Konkret hat er angeordnet, Entscheidungen des bosnischen Verfassungsgerichtshofes auf dem Territorium seiner Entität zu ignorieren.

Überspitzt gesagt wäre das so, als ob Ministerpräsident Markus Söder entscheidet, dass in Bayern nicht mehr die Bundesverfassung gilt.

Überspitzt gesagt wäre das so, als ob Ministerpräsident Markus Söder entscheidet, dass in Bayern nicht mehr die Bundesverfassung gilt. Oder wenn der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser dem Parlament in Wien die Legitimität abspricht.

Auf noch eine Instanz pfeift Dodik seit Jahren: den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, ernannt von den Vereinten Nationen. Das ist die oberste Kontrollinstanz, die seit dem Dayton-Abkommen von 1995 über den Frieden im ehemaligen Kriegsland wacht. Seit 2021 hat das Amt der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) inne. Davor hatten den Sitz ein Österreicher inne. Der Diplomat Valentin Inzko. 

Dodik erkennt die Autorität von Schmidt nicht an. 2023 hat das Parlament in Banja Luka ein Gesetz beschlossen, wonach Entscheidungen des Hohen Repräsentanten in der RS nicht umgesetzt werden. Das ist verfassungswidrig und strafbar. Theoretisch.

Die entscheidende Frage lautet: Was passiert, wenn das Urteil rechtskräftig wird? 

In der Praxis wird Dodik das Urteil ignorieren. Und nicht nur das. Er will den Justiz- und Strafbehörden des Gesamtstaates den Zugriff auf „sein“ Territorium verbieten. Die entscheidende Frage lautet: Was passiert, wenn das Urteil rechtskräftig wird? Das könnte Monate, wenn nicht Jahre dauern, denn Dodik wird wohl in Berufung gehen. Aber zu Ende gedacht: Wer würde Dodik im Ernstfall festnehmen? Es ist ein Dilemma. Setzen die Behörden das Urteil nicht um, wirkt der ohnehin angeschlagene Staat noch fragiler. Schickt Sarajevo Spezialeinheiten, dann droht womöglich eine gefährliche Eskalation.

Auf die Amerikaner ist kein Verlass mehr – nicht in der Ukraine und auch nicht auf dem Balkan

Alles wird davon abhängen, ob der Westen – also die EU und die USA – geeint auftreten. Das war bisher der Fall. Schert Washington aus, dann hat Dodik neben dem ungarischen Ministerpräsident Viktor Orbán sowie Russlands Präsident Wladimir Putin einen dritten Verbündeten gefunden. Das sollte ein Weckruf für Europa sein, endlich mehr in die eigene Sicherheit zu investieren. Auf die Amerikaner ist kein Verlass mehr – nicht in der Ukraine und auch nicht auf dem Balkan. Das Verschieben von Grenzen ist wieder denkbar, neben Bosnien-Herzegowina übrigens auch im Kosovo.

Ein schlechtes Omen: Trumps Ex-Anwalt Rudy Giuliani, der frühere Bürgermeister von New York, ist diese Woche zur Unterstützung Dodiks nach Banja Luka gereist. Bei einer Veranstaltung trug er eine rote Schirmkappe mit der Aufschrift „Make Srpska Great Again.“ Wer die Geschichte des Krieges kennt, weiß, wie menschenverachtend das ist. Die Idee eines Großserbiens führte 1992 zum Krieg in Bosnien. Damals kam es auch zu einem Genozid in Srebrenica, den Dodik leugnet.

Das Schreckgespenst Sezession ist bedrohlich, aber es schrumpft in sich zusammen, wenn man es zu Ende denkt. 

Die optimistische Nachricht: Das Schreckgespenst Sezession ist bedrohlich, aber es schrumpft in sich zusammen, wenn man es zu Ende denkt. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić unterstützt Dodik, aber an einer Eingliederung der RS hat er kein Interesse. Auf sich allein gestellt würde Dodik eine Art Transnistrien auf dem Balkan regieren – isoliert, von Finanzmitteln abgeschnitten, hochverschuldet und umgeben von EU-Anwärtern und NATO-Mitgliedern. Vor allem aber würde dann sein Prellbock wegfallen, nämlich der „Feind“ in Sarajevo. Und den braucht Dodik für seinen Machterhalt.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.