Gastkommentar

„Only the Strong Survive“

Ob Kamala Harris oder Donald Trump die US-Wahl gewinnt, hat Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft. Wie sich Europa wappnen kann.

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Bruce Springsteen feierte unlängst seinen 75. Geburtstag. Seine Lieder sind integraler Bestandteil der amerikanischen Kultur. Die Musik vom Boss verkörpert die US-amerikanische „Working Class“ wie wohl sonst keine. In den wahlentscheidenden Swing States des Rust Belt wie Michigan, Pennsylvania oder Wisconsin rittern Kamala Harris und Donald Trump um die Wählergunst der in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich unter Druck geratenen Arbeiterklasse.

Neben der Wahlempfehlung von Taylor Swift für Kamala Harris, dem großen Aufreger aus der Musikszene im aktuellen Wahlkampf, kämpfen Demokraten und Republikaner folglich auch um die Gunst der Springsteen-Fans. Er selbst hat sich letzte Woche mit einer Wahlempfehlung für Kamala Harris in das Lager der Demokraten geschlagen.

Nächstes Jahr tourt der Boss durch Europa, das sich zu dieser Zeit entweder mit der ersten US-Präsidentin oder einem altbekannten Gegenüber in seinen Wirtschaftsbeziehungen zu den USA arrangieren wird müssen. Die Ausgangslage vor den Wahlen im November ist klar: Die USA werden unabhängig vom Wahlausgang ihre „America First“- oder „Buy American“-Strategie fortführen. China gilt parteiübergreifend als Systemrivale. Weitere Maßnahmen zur Entkopplung der US-Wirtschaft von der chinesischen werden folgen. Die industrie- und handelspolitischen Maßnahmen werden konfliktbedingt verstärkt auf geopolitischen Überlegungen beruhen. Die Stärkung des eigenen Binnenmarkts wird im Fokus der US-Industriepolitik stehen, während die handelspolitischen Akzente im indopazifischen Raum gesetzt werden, wodurch Europa und die transatlantischen Beziehungen an Bedeutung verlieren.

Der Systemwettbewerb zwischen den USA und China wird den Welthandel nachhaltig verändern. Multilaterale Institutionen wie die WTO werden vor allem von den USA torpediert und das Welthandelsrecht ausgehebelt. Die 100-Prozent-Zölle der Biden-Administration auf chinesische E-Autos geben einen Vorgeschmack auf neue Handelsbarrieren, die zu Handelsumlenkungen führen und die traditionellen Partner der USA unter Druck setzen. Kanada hat sich dem bereits gebeugt, die EU versucht in ihrem Vorgehen gegenüber China noch das Welthandelsrecht einzuhalten.

Kamala Harris und Donald Trump unterscheiden sich jedoch in einigen Facetten ihrer industrie- und außenwirtschaftspolitischen Vorstellungen, mit Implikationen für Europa. Harris dürfte dazu tendieren, Joe Bidens Politik fortzusetzen. Die Demokraten sehen Vorteile in einer Kooperation mit Europa in Bereichen wie der technologischen Transformation der Wirtschaft. Eine Harris-Walz-Administration dürfte die bisher gesetzten Maßnahmen zur Stärkung von Umwelttechnologien auch angesichts der angestrebten Entkopplung der US-Wirtschaft von China intensivieren. Ein Klimaclub mit der EU und eine gegenseitige Anrechnung der klimapolitischen Aufwendungen wäre denkbar. Eine weitere wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Ukraine scheint unter Harris möglich, wobei auch die neuen Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress diesbezüglich eine Rolle spielen werden.

Trump hingegen wird in seiner Industriepolitik wie während seiner ersten Amtszeit verstärkt CO2-intensive Industrien fördern. Die weitere Unterstützung der Ukraine stellt er infrage und möchte handelspolitisch keine Rücksicht auf europäische Interessen nehmen. Nach seiner Wahl plant er eine zehnprozentige Zollerhöhung auf alle US-Importe, auch aus Europa. China soll mit einem 60-prozentigen „Strafzoll“ noch stärker getroffen werden.

Unabhängig vom Ausgang der US-Wahl wird Europa aufgrund der politischen Realitäten in den USA stärker eine eigenständigere Politik verfolgen müssen. Andernfalls droht es, sich zwischen den USA und China aufzureiben. In diesem Sinne sollte sich die europäische Politik Bruce Springsteens Zeilen aus „Only the Strong Survive“ zu Herzen nehmen und für uns selbst eine Haltung zu globalen Fragen und der wirtschaftlichen Positionierung der EU entwickeln: „Don’t you know that things are gonna change. But you’ve got to be a man, you’ve got to take a stand.“

Harald Oberhofer

Harald Oberhofer

Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und forscht am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).