Kommentar

Gasstopp: Das war nur der erste Streich

Ein Gaslieferstopp beendet noch keinen Gasliefervertrag. Aber es ist ein willkommener Anlass, wieder vors Schiedsgericht zu ziehen.

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Am Ende war es nur eine Frage der Zeit. Nämlich wann genau die teilstaatliche OMV kein russisches Gas mehr beziehen wird. Und ob sie das selbst provoziert oder ob sie mehr oder weniger tatenlos dabei zusehen muss. Die OMV hat sich offenbar für Option eins entschieden.

In Kürze: Am Samstag, dem 16. November, um 6 Uhr früh kam für die OMV am Gasknotenpunkt Baumgarten kein russisches Pipelinegas an. Grund dafür war ein Schuldtitel aus einem Schiedsverfahren, das die OMV im Jänner 2023 eingeleitet hatte. Weil der Energieversorger über die mittlerweile gesprengte Nordseepipeline Nord Stream 1 kein Gas mehr für seine deutschen Kunden bekam, sprach ihm nun das Schiedsgericht einen Schadenersatz von 230 Millionen Euro zu. In Russland erkennt man aber grundsätzlich keine Schiedsurteile aus Ländern an, die Russland sanktionieren. Die OMV will deshalb so lange nicht für Gaslieferungen bezahlen, bis die Schuld getilgt ist. Und Gazprom liefert kein Gas, wenn man nicht dafür bezahlt.

Hätte die OMV nicht selbst ihre Zahlungen an Gazprom eingestellt, hätte früher oder später jemand anderer darauf zugegriffen. Dann wäre das Geld weg, und Gas würde auch keines mehr fließen. Mittlerweile halten nämlich zahlreiche europäische Energieversorger Schuldtitel mit Schadenersatzansprüchen aus Schiedsverfahren gegen die russische Gazprom, die zumindest theoretisch die Möglichkeit bieten, auf Zahlungen anderer zuzugreifen. Im Mai warnte die polnische Orlen die heimische OMV, dass man genau das tun könnte. Im Sommer wurden außerdem der deutschen Uniper 13 Milliarden Euro an Schadenersatz zugesprochen.

Was passiert in einem Monat?

Ist der Lieferstopp aber auch das Ende des Liefervertrags? Auch wenn jetzt kein Gas fließt, das Vertragswerk gilt nach wie vor bis 2040 und verpflichtet den heimischen Energieversorger, 60 Terawattstunden pro Jahr abzunehmen – nach dem Prinzip: Take it or pay it. Die 230 Millionen Euro, die das Schiedsgericht – dem Vernehmen nach eines in Stockholm – der OMV zugesprochen hat, entsprechen gerade einmal einer Monatslieferung Gas. Interessant ist also, was in einem Monat passieren wird. Liefert die Gazprom dann wieder? Und bezahlt die OMV wieder für diese Lieferungen?

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die OMV aus dem Vertrag aussteigen möchte. Mit dem Gegenüber in Moskau streitet man ohnehin nur noch vor dem Schiedsgericht. Es sind noch mindestens zwei weitere Verfahren anhängig, die einerseits klären sollen, ob die Enteignung des OMV-Gasfelds in Sibirien durch Russland rechtens war. Und ob die gedrosselten Gaslieferungen 2022 eine Vertragsverletzung darstellen oder nicht. Damals bekam die OMV zeitweise nur ein Drittel der angeforderten Gasmengen, was den Gaspreis und letzten Endes die Energierechnungen massiv in die Höhe trieb. Sollten die Lieferungen aus Moskau noch einige Monate ausbleiben, wäre das jedenfalls ein willkommener Anlass für ein weiteres Schiedsverfahren und einen Vertragsausstieg.

Anders als ungarische oder slowakische Energieversorger bemühte sich der heimische Konzern auch nicht darum, nach einem möglichen Transitstopp über die Ukraine ab Jänner eigene Pipeline-Kapazitäten zu buchen und weiterhin direkt Gas aus Russland zu beziehen.

Im OMV-Vorstand hat seit Rainer Seeles Abgang als CEO auch niemand mehr wirklich eine Freude mit genau diesem Liefervertrag. Die OMV bekommt mehr Gas aus Russland, als sie eigentlich braucht. Und das auch gar nicht so günstig, wie sich nach und nach zeigt. Das muss freilich nicht bedeuten, dass man für immer und ewig auf russisches Gas verzichten möchte. Gut möglich also, dass man schon bald nach Kriegsende einen neuen Vertrag mit kürzerer Laufzeit, geringeren Mengen und zu besseren Konditionen verhandelt.

So oder so, geheizt wird weiterhin mit russischem Gas. An der Wiener Gasbörse Central European Gashub (CEGH) sind über 340 Unternehmen gelistet, die Gas kaufen oder verkaufen. Nur weil eines davon kein russisches Gas bekommt, heißt das nicht, dass andere darauf verzichten wollen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".