Kommentar

Schlau, aber daneben

Wieso sich Erfolge rechtsextremer Parteien nicht mit einem Mangel an Bildung erklären lassen.

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Wann immer Parteien am äußersten rechten Rand Wahlerfolge einstreichen, folgt eines ganz bestimmt: Erklärungsversuche. Zuletzt war das nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen der Fall, wo die AfD mit mehr als 30 Prozent der Stimmen auf dem ersten beziehungsweise zweiten Platz landete. Auf das Geschlecht ihrer Anhänger, deren Rassismus oder Bildungslücken lässt sich das nicht herunterbrechen, zumindest nicht ausschließlich. Dafür sind die Zahlen zu hoch. Die Wähler rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien entsprechen mittlerweile dem Querschnitt der Gesellschaft.

Das widerspricht dem polit-medialen Reflex, rechte Erfolge mit einem Mangel an Bildung zu erklären. Ihr Unwissen treibe die Menschen in die Arme der Extremisten und Populisten, heißt es in Analysen und Meinungsartikeln. Ein Missverständnis also, das sich leicht beheben ließe. Wären die Menschen besser informiert und hätten sie die wahren Hintergründe für Krisen wie den Klimawandel, Migration und bewaffnete Konflikte erst einmal verstanden, löste sich das Problem von selbst, denn: Der gebildete Bürger würde niemals rechts wählen.

Es ist eine verführerische Hypothese, die bloß einen Haken hat: Sie ist falsch.

Wissenschafter haben schon vor Jahren gezeigt, dass mehr Wissen die politische Urteilskraft nicht automatisch verbessert. In seinem Buch „Why We’re Polarized“ analysiert der amerikanische Autor und Journalist Ezra Klein zahlreiche Studien, um die wachsende Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft zu erklären. Eine von ihnen ist besonders aufschlussreich. Wissenschafter um den Jus- und Psychologieprofessor Dan Kahan von der Yale Law School haben untersucht, wie sich das Wissen von Menschen auf deren Urteilskraft auswirkt. Dafür befragten sie zunächst rund 1000 Probandinnen und Probanden zu deren politischen Ansichten. Danach ließen sie die Leute eine Mathematikaufgabe lösen, in der es um die Wirksamkeit einer Salbe ging. Es zeigte sich: Je besser die Probanden über Mathematik Bescheid wussten, desto besser waren sie auch in der Bewältigung der Aufgabe.

Im schlimmsten Fall treibt Bildung die Polarisierung sogar noch weiter an.

Doch dann politisierten die Wissenschafter die Rechenaufgabe. Im nächsten Test beurteilten die Studienteilnehmer verschiedene Datensets auf die Frage hin, ob sich ein Verbot von Handfeuerwaffen auf Kriminalitätsraten auswirkt. In einigen half das Verbot, in anderen nicht. In den USA ist diese Frage hochpolitisch, Demokraten sind in der Regel für, Republikaner gegen strengere Waffengesetze. In Kahans Studie führte diese Polarisierung zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Plötzlich hatte die mathematische Begabung der Befragten keine Auswirkung mehr auf deren Urteilsvermögen, ausschlaggebend war jetzt ihre politische Einstellung. Linke Probandinnen interpretierten die Zahlen richtig, sofern diese mit ihrer Überzeugung übereinstimmten, dass ein Waffenverbot die Kriminalitätsraten senkt. Bei Republikanern waren die Ergebnisse ähnlich, nur eben andersherum. Auch sie sahen ihre Meinung bestätigt, egal ob die Zahlen das hergaben.

Besonders bemerkenswert: Wer über gute mathematische Fähigkeiten verfügte, neigte eher dazu, die Daten zur gewünschten Auslegung zu verdrehen. Mehr Wissen führte hier also sogar zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, Daten falsch zu interpretieren, wenn sie nicht der eigenen Überzeugung entsprachen.

„Je klüger die Person, desto dümmer kann die Politik sie machen“, fasst Klein die Problematik zusammen. Man kann es auch freundlicher formulieren: Je besser die Menschen informiert sind, desto leichter können sie ihre Meinungen untermauern – und Daten in ihrem Sinne verbiegen. Und desto schwerer wird es, sie vom Gegenteil zu überzeugen.

Das gilt vor allem bei Themen, die spalten. Kaum jemand hinterfragt die Wirkung von Antibiotika oder die Tatsache, dass die Erde rund ist. Doch sobald es unsere tiefsten politischen Überzeugungen oder gar unsere Identität betrifft, wird es eng.

Eine der großen Erkenntnisse in Ezra Kleins Buch ist, dass die Rolle von Identitäten (und die Abgrenzung zu anderen) kaum überschätzt werden kann. Und hier kommen die Rechtspopulisten ins Spiel. Zu ihren größten Stärken gehört es, Probleme mit Identität zu verknüpfen. Konkret geht es darum, Migration für Missstände verantwortlich zu machen: Ihr bekommt keine Wohnung, weil Ausländer bevorzugt werden; es ist kein Geld für Krankenhäuser und Schulen da, weil der Staat den Flüchtlingen das Geld nachwirft.

Bildung, so wichtig sie sein mag, kommt gegen solche Erzählungen nicht an; im schlimmsten Fall treibt sie die Polarisierung sogar noch weiter an. Die politische Spaltung, wie sie von Parteien am rechten Rand vorangetrieben und von anderen nachgeahmt wird, ist gefährlich für alle. Weil Polarisierung zu unser aller Verblödung beiträgt.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.