Gastkommentar

ÖVP-SPÖ-Neos-Regierungsprogramm: Kompromisse auf Kosten der Schwächsten

Politologe Thomas Schmidinger trat in die SPÖ ein, um Andreas Babler zum Parteichef zu wählen. Am Tag, an dem Babler zum Vizekanzler angelobt wurde, trat Schmidinger wieder aus.

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Vor knapp zwei Jahren bin ich nach langen Jahren als parteipolitisch etwas heimatloser linker Wechselwähler in die SPÖ eingetreten. Ich war einer von vielen, die in der Möglichkeit einer Mitgliederbefragung über den künftigen Parteivorsitz eine Chance gesehen haben, die SPÖ zu demokratisieren und dabei auch wieder zu einer ernsthaften sozialdemokratischen Partei zu machen, einer progressiven Partei mit einer breiten und durchaus auch diversen Mitgliederbasis, in der verschiedene linke Positionen formuliert werden können, in der inhaltlich gestritten werden kann, die aber vor allem auch ein Bollwerk gegen den Rechtsruck und die drohende Machtübernahme der FPÖ ist. Fast mein gesamter Freundeskreis ist damals ebenfalls in die SPÖ eingetreten und hat für Andi Babler gestimmt, und dieser gesamte Freundeskreis ist jetzt auch froh, dass unser Andi Babler auch wirklich einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, einen Bundeskanzler Kickl zumindest vorerst zu verhindern.

Trotzdem bin ich am Tag vor der Angelobung der neuen Regierung wieder aus der SPÖ ausgetreten. Während ich 2023 offensiv im Freundeskreis für den Beitritt geworben habe, habe ich bislang nicht versucht, meinen Freundinnen und Freunden ebenfalls den Austritt nahezulegen. Viele sind vorerst dabeigeblieben. Was sie allerdings mit mir gemeinsam haben, ist, dass wir alle vom Regierungsprogramm und vom Umgang unserer Partei mit den Mitgliedern enttäuscht sind. Einige haben noch die Hoffnung, dass sich hier doch noch was ändern könnte. Ich habe diese verloren.

Eine Koalition benötigt Kompromisse, das ist klar, und damit ist es auch logisch, dass eine rechtskonservativ-liberal-sozialdemokratische Koalition keine rein sozialdemokratische Politik machen kann. Was ich meiner bisherigen Partei aber nicht verzeihen kann, ist, dass sie offenbar den gesamten Bereich der Asyl- und Integrationspolitik dem Rechtspopulismus der ÖVP überlassen hat und dabei auch noch eine weitere Verschärfung der bisherigen Anti-Islam-Politik abgesegnet hat; vor allem aber, dass sie dabei auch offensichtlich verfassungs- und europarechtswidrige Vorhaben gebilligt hat und damit weiter der Aushöhlung des Rechtsstaates zustimmt.

Die SPÖ hat einem Koalitionsvertrag zugestimmt, in dem es wörtlich heißt, dass der Familiennachzug für anerkannte Flüchtlinge „mit sofortiger Wirkung vorübergehend und im Einklang mit Art. 8 EMRK gestoppt“ wird. Dabei wissen alle Beteiligten, dass das eben nicht im Einklang mit Art. 8 der EMRK möglich ist. Mag sein, dass das SPÖ- Verhandlungsteam sich dabei dachte: Eh wurscht, wird eh wieder aufgehoben. Dass, bis solche rechtswidrigen Entscheidungen von der Justiz aufgehoben werden, wertvolle Zeit vergeht, in der Minderjährige ihre Eltern nicht sehen können, und lebensentscheidende Phasen verpatzt, also konkrete Leben ruiniert werden können, scheint aber genauso „wurscht“ zu sein wie die katastrophale Demontage des Rechtsstaates in den Augen der Wählerinnen und Wähler, wenn die Justiz ständig rechtswidrige politische Entscheidungen aufheben muss.

Dasselbe gilt für die Kürzung der Sozialhilfe für anerkannte Flüchtlinge, obwohl der Verfassungsgerichtshof solche Versuche in der Vergangenheit bereits mehrmals aufgehoben hat, oder das Kopftuchverbot, das auch schon bisher an höchstgerichtlichen Entscheidungen gescheitert ist.

Wenn uns Mitgliedern zumindest die Möglichkeit gegeben worden wäre, wie bei den Neos über dieses Programm abzustimmen, oder wenn ich in diesen zwei Jahren irgendeine andere nennenswerte Möglichkeit gefunden hätte, mich mit meiner Expertise und meinen Positionen irgendwo einzubringen, würde ich den Kampf gegen solche Positionen weiter innerhalb der Partei führen. Die einzige Arbeitsgruppe, in der ich das kurzzeitig konnte, wurde jedoch nie wieder eingeladen, als es einmal mehrheitlich Widerspruch gegen deren Vorsitzende gab.

Es gehört für mich zu sozialdemokratischen Grundwerten, nicht auf Kosten der Schwächsten faule Kompromisse zu schließen, sondern für Flüchtlinge und sozial Schwache einzustehen. Offenbar sieht dies die SPÖ anders.

Thomas Schmidinger

Thomas Schmidinger

ist ein österreichischer Politikwissenschaftler und Sozial- und Kulturanthropologe mit den Schwerpunkten Kurdistan, Jihadismus, Naher Osten und Internationale Politik. Hat sich in der Vergangenheit für den SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler stark gemacht.