Kommentar

Korruption – und wie man wieder rauskommt

Oder eben nicht. Warnende und lehrreiche Beispiele für die ÖVP.

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Stellen Sie sich eine konservative christdemokratische Partei vor, deren höchstrangige und weniger hochrangige Repräsentanten wegen Korruptionsverdachts ins Visier der Justiz geraten. Ich weiß, was Sie jetzt denken, aber nein, es geht (vorerst) nicht um die ÖVP. Anfang der 1990er-Jahre kam in Italien ein Skandal von gigantischem Ausmaß ans Licht. Die Regierungspartei Democrazia Cristiana, eine Schwesterpartei der ÖVP, und weitere vier Parteien hatten ein Bestechungssystem etabliert, bei dem so gut wie jede Entscheidung der öffentlichen Hand mit Schmiergeld im Ausmaß von zehn bis 15 Prozent der Gesamtsumme abgegolten werden musste. Die Justiz-Operation „mani pulite“ (saubere Hände) führte in den folgenden Jahren zu 1254 Verurteilungen, obwohl viele Verfahren wegen Verjährung eingestellt werden mussten. Für die Democrazia Cristiana (DC), die seit 1945 Italien fast durchgängig regiert hatte, bedeutete der Skandal das Ende. Sie war unwählbar geworden, daran änderte auch eine Neugründung unter anderem Namen nichts.

Die ÖVP würde sich wohl gegen einen Vergleich mit der unrühmlichen Geschichte der DC verwahren. Ihr bestes Argument dafür ist die unleugbar größere Dimension der italienischen Korruptionsmachenschaften – selbst wenn sich alle aktuellen Vorwürfe gegen die ÖVP bewahrheiteten. Das stimmt, allerdings liegt der Fall der DC drei Jahrzehnte zurück, und die Abscheu der Bevölkerung gegenüber Bestechlichkeit und ähnlichen sinistren Neigungen ist deutlich gestiegen.

Entscheidend ist nicht nur die Zahl der Vorfälle und die Schadenssumme, sondern vor allem auch die Reaktion der betroffenen Amtsträger und deren Parteien. Giulio Andreotti, wichtigster DC-Politiker seinerzeit und siebenfacher Ministerpräsident, erwies sich dabei als besonders resistent gegenüber den Minimalanforderungen politischer Verantwortung. 28 Mal wurde ein Antrag zur Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität niedergestimmt, erst der 29. war erfolgreich. Schließlich stand Andreotti mehrmals vor Gericht, doch letztlich wurde er – auch dank Verjährungsbestimmungen – nie verurteilt. Der Mann, unter dessen Führung Korruption zur Staatsdoktrin geworden war, wand sich juristisch aus allem heraus und kommentierte süffisant: „Das Einzige, wofür man mich nicht verantwortlich macht, sind die Punischen Kriege, weil ich damals noch zu jung war.“

So klingt wohlformulierte Arroganz. ÖVP-Chef Karl Nehammer fiel angesichts der Anschuldigungen gegen Kurz, Sobotka und Co bloß der Satz ein: „Die Menschen haben das Recht, dass sich die Politik um echte Krisen kümmert.“ Das ist deutlich weniger blumig formuliert, aber nicht minder arrogant.

Dem Beispiel der DC zu folgen, führt auf einem sicheren Pfad in den moralischen und politischen Ruin.

Stellen Sie sich jetzt eine konservative christdemokratische Partei vor, deren Ex-Vorsitzender unter Verdacht steht, sich während seiner aktiven Zeit zum eigenen politischen Vorteil illegaler Finanzierungen bedient zu haben. Sein Nachname beginnt mit K. Richtig, es geht um Deutschlands Altkanzler Helmut Kohl und die Christlich Demokratische Union (CDU). 1999 flog auf, dass Kohl unter Missachtung des Parteiengesetzes schwarze Kassen führen hatte lassen.

Daraufhin veröffentlichte die Generalsekretärin der CDU einen Gastkommentar in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in dem sie Kohl kritisierte, weil er „der Partei Schaden zugefügt“ habe, und die Partei aufforderte, ab sofort „eigene Wege zu gehen“. Von Parteifreunden wurde sie daraufhin als „Vatermörderin“ und „Nestbeschmutzerin“ bezeichnet. Ihr Name: Angela Merkel.

Die ÖVP braucht dringend eine „Vatermörderin“ und „Nestbeschmutzerin“, wie es einst Angela Merkel war.

Merkels Absicht war es, die Partei aus der Schusslinie zu bringen, indem sie sich von Kohl distanzierte. Es kam zum unausweichlichen Bruch, Kohl legte den Ehrenvorsitz zurück. Keine vier Monate nach ihrem Beitrag in der „FAZ“ wurde Merkel zur Parteivorsitzenden gewählt. Sie hatte die CDU vor dem Schlimmsten bewahrt und war dabei ein nicht geringes politisches Risiko eingegangen.

Kohls Verdienste um Deutschland und die CDU überragen die Leistungen von Sebastian Kurz wie der Berliner Fernsehturm die Dr.-Erwin-Pröll-Warte am Hirschenkogel. Ein ÖVP-Politiker oder eine ÖVP-Politikerin sollte imstande sein, den Mut aufzubringen, sich von der Ära Kurz-Sobotka endgültig loszusagen.

Dem Beispiel Merkel zu folgen, führt auf einen vielversprechenden Pfad zur Versöhnung mit der von der Ämterkorruption angeekelten Bevölkerung.

Christdemokratische Parteien straucheln (wie andere Parteien auch) und haben (wie andere Parteien auch) eine Chance auf glaubhafte Reue und Besserung. Dass es sich dabei um ein zutiefst katholisches Konzept handelt, sollte ihnen entgegenkommen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur