Kruzifix noch einmal!
In Tirol, also jenem Kleinod von urwüchsigem Transitland, in dem sämtliche Traditionen von zünftigem Gröschtl über knorrige Schützen bis hin zu bärigen volkstümlichen Musikantensurrogaten mit unverbrüchlicher Treue gepflegt werden, brennt der ebenso unantastbare Hut gerade lichterloh. Vorbei die selige Anfangszeit von Corona, als in Ischgl und selbstverständlich auch sonst überall im Heiligsten Land alles absolut richtig gemacht wurde. Denn jetzt ist ein schrecklicher, ja unverzeihlicher Fehler gerade dabei, begangen zu werden – wenn es einer spontan gebildeten Sachkoalition aus ÖVP und FPÖ nicht doch noch gelingen sollte, diesen brutalen Anschlag auf die zartbesaitete Landesseele zu verhindern.
Der Alpenverein, der bislang eher nicht im Verdacht stand, der Normalität widersprechende verwerfliche Umtriebe zu praktizieren, wurde offenbar von marxistischen Antichristen aus dem in jeder Hinsicht verachtenswerten Wien gekapert. Anders ist sein Anschlag auf das höchste Kulturgut, das sich Tiroler Politikergehirne rechts der Mitte vorstellen können, nicht zu erklären: Es sollen keine neuen Gipfelkreuze mehr errichtet werden! Da bleibt einem die Spucke weg, oder? 4000 Kreuze, die in den Alpen quasi ohnehin jeden schlechteren Hügel schmücken, seien genug, befand Alpenvereinspräsident Andreas Ermacora – der sich in der Zwischenzeit hoffentlich schon vehement um Exil irgendwo im sicheren Flachland bemüht. Die alten blieben selbstverständlich stehen, und wenn eines renoviert werden müsse, werde auch das geschehen. Aber der mühsame Transport und das notwendige sichere Aufstellen der Kreuze stehen in keiner Relation zum Nutzen. Und das religiöse Element interessiere ihn eigentlich nicht sonderlich. Es gebe schließlich auch Steinmandeln und tibetische Gebetsfahnen, die zur Orientierung dienen könnten. Tibetische! Gebets!fahnen!!
Zugegeben: Hätte Ermacora stattdessen einen Ausbaustopp für Seilbahnen gefordert, wäre der Zorn der wackersten Vaterlandschützer seit Sandwirt Hofer möglicherweise noch größer ausgefallen. Mit Obersympathieträger Franz Hörl spaßt man schließlich noch weniger als mit dem Himmelvater, da seien geschmacksbefreite Klotzhotels und beheizte Liftstützen vor. Man erinnere sich nur an die vergangenen Winter kurz im verlässlich bescheuerten Osten ventilierte Idee, dass man, wenn es durch die Energiekrise zu schlimmen Engpässen kommen sollte, doch lieber als Allererstes ein paar Seilbahnen stoppen sollte, statt Wiener Wohnungen nicht zu heizen. Da musste der freundliche Franz diesen Falotten schon einmal deutlich erklären, wo in Österreich die Prioritäten zu liegen haben.
Aber immerhin rückte jetzt sogar Norbert Totschnig aus (den werden Sie jetzt wahrscheinlich nicht kennen; für gewöhnlich gut informierte Kreise behaupten aber eisern, er sei Minister für irgendwas), um sofort klarzustellen: Gipfelkreuze gehören zu Tirol wie der traditionelle Anstieg in der saisonalen Chlamydienexportbilanz, der sich aus dem völkerverbindenden Aufeinandertreffen von professionellen heimischen Wedlern mit lernbegierigen Pflugböglerinnen aus aller Welt ergibt. Weil die Leute halt so eine Freude haben, wenn sie das Kreuz erreichen, also der mühsame Hatscher, an dem man sich stundenlang erfreuen durfte, endlich ein Ende hat. Und natürlich, noch wichtiger: christliches Erbe, hallo?
Einige andere ÖVPler assistierten, man ortete Schaden für Spiritualität und Tourismus – was ja in Tirol praktisch dasselbe ist. Und auch der Tiroler FPÖ-Chef Markus Abwerzger befand, das seien „fragwürdige Zurufe“, Gipfelkreuze dürften nämlich „nicht politisiert werden“. Äh …, ja.
Menschen, die die österreichische Innenpolitik schon etwas länger beobachten, wurden aber auch unweigerlich an einen der vielleicht größten Auftritte in der an großen Auftritten wahrlich nicht armen Karriere von Peter Westenthaler erinnert, der als Spitzenkandidat der gemeinsam mit dem Team Stronach wohl prägendsten Partei der Nachkriegszeit – also des BZÖ – in einem TV-Duell mit Alfred Gusenbauer vor der Wahl 2006 mit bebender Stimme einen Brief verlas, in dem aufgedeckt wurde, es gebe den heimtückischen Plan, alle Gipfelkreuze durch Halbmonde zu ersetzen. Dass er damals bloß – intellektuell natürlich keineswegs überfordert – einem überhaupt nicht lustigen Scherz auf den Leim ging, bedeutet jetzt aber nicht automatisch, dass diese schwärende Gefahr gebannt wäre. Denn auf das empörende Gipfelkreuz-Vakuum, das der Alpenverein kalt lächelnd heraufbeschwört, könnten die Islamisierer ja schon längst heimlich gewartet haben und nunmehr umgehend arglistig zu Knickerbocker und Pickel greifen, um es zu füllen! Daran denkt natürlich wieder keiner! Wobei: möglicherweise doch.
Also vergessen wir Krieg, Inflation, die Multikrise generell. Denn ÖVP wie FPÖ wissen: Es gibt jetzt wahrlich Wichtigeres zu tun.