Das tragische Ende
Arroganz, wenn sie sich mit Absurdität paart, hat etwas Komisches.
US-Vizepräsident J.D. Vance sieht sich genötigt, europäischen Politikern Lektionen in Demokratie zu erteilen. Er findet, es zerstöre die Demokratie, einer 20-Prozent-Partei – gemeint ist die AfD – die Regierungszusammenarbeit zu verweigern. Sein Präsident Donald Trump jedoch weigert sich bis heute, das Ergebnis der tadellosen US-Präsidentschaftswahl des Jahres 2020 anzuerkennen, weil er sie verloren hat. Tja.
Die Meinungsfreiheit in Europa hält Vance ebenfalls für bedroht. Er selbst nimmt für sich und seine Regierung in Anspruch, dieses Bürgerrecht hochzuhalten; es sei denn, jemand nennt den Golf von Mexiko, den die neue US-Regierung in „Golf von Amerika“ umgetauft hat, weiterhin „Golf von Mexiko“. Weil das zum Beispiel die global tätige Nachrichtenagentur Associated Press so handhabt, sind deren Mitarbeiter von Terminen im Oval Office des Weißen Hauses ausgeschlossen. Die Meinungsfreiheit in dieser konkreten Frage treibt jetzt am Grunde des Golfs, den ich in diesem – und nur in diesem – Fall „Golf von Amerika“ nennen will.
Was nun folgt, ist jedoch tragisch.
Die US-Regierung unter der Führung von Donald Trump wendet sich von ihren engsten Verbündeten ab, erst von Kanada, nun von Europa. Sie tut das real, indem sie die europäischen Regierungen von Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine ebenso ausschließt wie von Überlegungen über die Zukunft des Gazastreifens (siehe dazu Story Seite 30).
Verbündete zu verprellen und der ganzen Welt zu zeigen, dass keine Regeln mehr gelten, schafft ein Chaos, in dem auch der größte Rabauke am Ende Prügel bezieht.
Dahinter steckt jedoch nicht bloß Verhandlungstaktik des „Dealmakers“ Trump. Er und seine Leute wenden sich vielmehr von den Prinzipien ab, die Europa und die USA seit dem Zweiten Weltkrieg miteinander verbanden. Es sind dies nicht weniger als die Leitlinien der freien Welt.
Dazu gehört, dass klar ist, wer ein Diktator ist und wer ein Demokrat. Trump nennt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj „Diktator“. Über Putin, einen Kriegsverbrecher, der zudem für den Tod zahlreicher Oppositioneller Verantwortung trägt, sagt Trump, er unterhalte „gute Beziehungen“ zu ihm.
Wenn russische Streitkräfte die benachbarte Ukraine überfallen, sollte außer Frage stehen, auf wessen Seite die USA stehen. Trump hingegen rät der ukrainischen Führung zynisch, sie hätte „den Krieg nicht beginnen“ sollen, und beschuldigt sie zudem, ihn „nicht beendet“ zu haben.
Zu den nicht verhandelbaren roten Linien der freien Welt gehören die Menschenrechte, auch wenn die Liste der Verfehlungen auf diesem Gebiet lang ist. Donald Trumps Ankündigung, die Bevölkerung von Gaza „umzusiedeln“, stellt jedoch eine unverhüllte Androhung eines Verbrechens dar, aus der eine prinzipielle Missachtung der grundlegenden Regeln des Völkerrechts spricht.
Es sollte für die westliche Supermacht USA keinen Zweifel geben, wen sie im Konflikt zwischen dem autoritären Russland und dem demokratischen Europa unterstützt. US-Vizepräsident Vance jedoch verglich in seiner schauerlichen Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz die gewählten europäischen Politiker mit Sowjet-Kommissaren und ortete die „größte Sicherheitsbedrohung nicht in Russland oder China“, sondern in der Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa.
Was folgt aus dieser ungeschriebenen Trump-Doktrin? Der Bruch zwischen den USA unter Donald Trump und Europa ist nicht bloß ein anlassbezogener Konflikt um Zölle oder kurzfristige Interessen. Ein tiefer Graben hat sich aufgetan, von einer „historischen Zäsur“ schreibt die französische Zeitung „Le Monde“ in ihrem Editorial.
Donald Trump meint, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Europa ist militärisch auf die USA angewiesen und kann seine Prinzipien zwar laut vortragen, nicht aber gegen Trumps Rücksichtslosigkeit durchsetzen. Es muss aufrüsten, um nicht unterzugehen.
Bald jedoch wird Trumps skrupelloser Egoismus auch den USA schaden. Verbündete zu verprellen und der ganzen Welt zu zeigen, dass keine Regeln mehr gelten, schafft ein Chaos, in dem auch der größte Rabauke am Ende Prügel bezieht. Das ist die Dividende der Arroganz.