Leitartikel

Vertrau mir (bloß nicht)

Herbert Kickl ist das Misstrauen in Person – die ÖVP traut ihm nicht über den Weg. Eine Koalition der Paranoia kündigt sich an. Vielleicht sollte ein Paartherapeut die Verhandlungen leiten.

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Herbert Kickl vertraut eigentlich niemandem, außer sich selbst. Wenige vertrauen ihm: Blaue Funktionäre würden ihren Wahlsieger zwar nie öffentlich kritisieren – hinter vorgehaltener Hand empfindet man den unzugänglichen, verschlossenen Obmann gelinde gesagt als schwierig. Bundespräsident Alexander Van der Bellen misstraut Kickl bekanntermaßen. Sonst hätte er ihm gleich einen Regierungsbildungsauftrag erteilen können. Als er es dann zähneknirschend doch tat, machte er klar, dass er mit Argusaugen über die Ereignisse wachen wird.

Bei der Bevölkerung hat Kickl laut Vertrauensindex grottige Werte – er polarisiert wie kaum ein anderer Bundespolitiker. Die ÖVP misstraut ihm sowieso – und Kickl der ÖVP. Zu tief sind die Wunden der letzten, nur zwei Jahre dauernden Koalitionsehe und die Blessuren aus dem Wahlkampf. Auch, wenn sich Schwarz und Blau inhaltlich in vielen Bereichen nah sind – Respekt für- und Vertrauen zueinander sind maßgebliche Ingredienzen für eine funktionierende Koalition. Bevor die Obmänner von FPÖ und ÖVP ihre Gespräche starten, sollten sie eine wichtige Sitzung nicht auslassen: Die beim Paartherapeuten.

Ob diese zerrüttete Beziehung zu kitten ist, ist fraglich. Kickl hat der ÖVP seinen Rausschmiss aus der letzten Regierung nie verziehen. Er ist getrieben von Rachegelüsten, seine Rhetorik gegenüber den Schwarzen aggressiv – vor wie hinter den Kulissen. Auch der neue ÖVP-Chef Christian Stocker, der als Generalsekretär von Karl Nehammer freilich das oberste Anti-Kickl-Propagandaorgan war, musste jetzt eine 180-Grad-Wendung hinlegen. Er bezeichnete Kickl als „rechtsextremen Verschwörungstheoretiker“ als „Sicherheitsrisiko“. Die ÖVP zeigte Kickl an – deswegen wird jetzt gegen ihn wegen Falschaussage ermittelt.

Das waren nicht nur Worte, die man vergessen kann. Das sitzt tiefer und hat mit Herbert Kickls Vergangenheit als Innenminister zu tun. Er übernahm das jahrzehntelang von der ÖVP-geführte Sicherheitsressort. Ein gewisser flüchtiger Ex-Wirecardchef Jan Marsalek redete der FPÖ ein, dass dort von der ÖVP aktiv Material gegen die FPÖ gesammelt werde. Genauer gesagt im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT), wo sowohl Spionageabwehr als auch das Rechtsextremismusreferat angesiedelt waren. Marsalek agiert seit Jahren als Agent für Russland. Gemeinsam mit einer willfährigen Staatsanwaltschaft machte der paranoide Kickl im Innenressort Tabularasa: Wir erinnern uns an eine fehlgeleitete BVT-Razzia im Februar 2018, die das Amt für Jahre handlungsunfähig machte. Der Erste, den Kickl entfernen ließ, war der für Russland hauptzuständige Spionageabwehrchef.

International unten durch

Apropos Vertrauen: Das hat Österreich dadurch international massiv eingebüßt, nicht zuletzt deswegen, weil bei dieser Razzia auch Informationen von befreundeten Diensten sichergestellt wurden. Ein No-Go. Es brauchte eine Reform, um all das wieder einigermaßen zu reparieren. Schon jetzt zeichnet sich ab: Eine Zusammenarbeit mit der neu geformten DSN (Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst) unter blauer Führung ist international undenkbar. Zu groß ist die Angst, dass Informationen gen Russland abfließen würden – oder man sich von dort wieder instrumentalisieren lässt. Eines darf auch nicht vergessen werden: Für die FPÖ leitete ein gewisser Hans-Jörg Jenewein die Fraktion im BVT-U-Ausschuss. Er kooperierte eng mit Egisto Ott, ein Marsalek-Mann, gegen den seit 2017 wegen Spionageverdacht für Russland ermittelt wird. Ott und Jenewein stehen auch wegen dieser Kooperation aktuell vor Gericht. Jenewein gilt als einer der engsten Vertrauten von Kickl.

Die FPÖ fordert derzeit beide Sicherheitsressorts – genauso tut das die ÖVP. Während Kickl also nun in Verhandlungen um die Macht kämpfen muss, die ÖVP darum, sie zu erhalten, hat sie einer wirklich: der Bundespräsident. Der hat in seiner Rede angedeutet, dass er dafür sorgen werde, dass die „Sicherheit in sicheren Händen“ sein werde. Van der Bellen ist Oberbefehlshaber des Heeres – und hat so direkt eine Hand auf dem Verteidigungsministerium. Was das Innenministerium betrifft, so hat er die Möglichkeit Minister abzulehnen. Und das sollte er auch tun, wenn er Bedenken hat. Nicht nur im Sicherheitsbereich: Auch die Justiz ist sensibel, es laufen etliche Ermittlungen gegen blaue und schwarze Politiker. Die FPÖ positioniert sich als Anti-EU-Partei, es wird für Österreichs internationale Stellung ausschlaggebend sein, wer das EU- und Außenministerium führt.

Der Staat muss stabilisiert werden. Dafür muss auch das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen werden. Denn alle Parteien haben sich in den vergangenen Jahren und speziell Monaten und Wochen zu viel geleistet, zu viele 180-Drehungen hingelegt. Versprechen zählten wenig, Worte wurden verdreht. Man braucht sich nicht wundern, dass hier etwas erodiert ist und nun die dritte Republik vor der Tür steht.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.