Leitartikel

Jetzt beruhigen wir uns alle wieder

Der Fall des syrischen Diktators Baschar al-Assad hat für Euphorie gesorgt, es gibt einen neuen Machthaber. Der Feind unseres Feindes ist nicht unbedingt unser Freund – aber es gibt eine Chance, Europas Flüchtlingsprobleme zu lösen und das Land aus dem Chaos zu führen.

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Es ist selten, dass Linke, Rechte und Flüchtlinge zusammen jubeln. So geschehen, als dieser Tage der syrische Diktator Baschar al-Assad von Rebellentruppen gestürzt wurde. Die Linke jubelte ob der vermeintlichen Befreiung des Landes. Die Rechte, weil sie eine Gelegenheit für die Abschiebung syrischer Flüchtlinge witterte. Letztere versammelten sich zu Tausenden in der Innenstadt und feierten, dass jener Mann, der am Verlust ihrer Heimat schuld ist, nun selbst fliehen musste. Nach dem Up kam das Down. Es folgte öffentliche Entrüstung, als das ÖVP-geführte Innenministerium verkündete, Asylverfahren vorerst aussetzen und prüfen zu wollen, ob 40.000 Syrern ihr Status aberkannt werden kann. So mancher fand das unmenschlich und grauenhaft. Doch es dauerte nicht lange, bis der Vorstoß Nachahmer fand. Etliche EU-Innenminister taten es Karner gleich. Aus guten Gründen.

Das Innenministerium ist nicht bösartig, sondern hält sich an Gesetze. Dass sie die Mindestgrundlage für jede politische Entscheidung sein müssen, darauf können wir uns in einem Rechtsstaat hoffentlich einigen. Und die Gesetze sehen eben eine regelmäßige Überprüfung des Asylgrundes vor. Das war beim Großteil der Syrien-Flüchtlinge das Assad-Regime, das es jetzt nicht mehr gibt. Anders gedacht: Wie sollte eine Behörde aktuell einen Antrag positiv bescheiden? Wir sollten uns daran erinnern, wofür Asyl gedacht ist: in erster Linie als zeitlich befristeter Schutzstatus. Das Argument, dass man gut Integrierte nicht abschieben sollte, geht ins Leere: Die Überprüfungen gelten nur für jene, die weniger als fünf Jahre lang im Land sind. Man kann die Kirche also getrost im Dorf lassen – rechtlich steht in der Republik noch alles auf soliden Beinen.

Anderes zu bewerten sind die populistischen Polit-Ankündigungen, Zigtausende Syrer zurückzuschicken – und zwar am besten morgen. So einfach ist das nicht, selbst wenn kein Asylgrund mehr vorliegt. Denn dafür braucht es entsprechende diplomatische Abkommen mit dem Zielstaat – und die Lage vor Ort muss als sicher beurteilt werden. Das bedeutet im Fall Syriens: Europa müsste mit dem Rebellenführer Abu Mohammed al-Julani verhandeln. Ob sich dieser als vertrauenswürdiger Partner entpuppt, wird sich erst zeigen. Seine Biografie weckt daran jedenfalls Zweifel: Der 42-jährige gebürtige Saudi kämpfte ab 2003 aufseiten der Al Kaida im Irak gegen US-Streitkräfte, die ihn schließlich in Gefangenschaft nahmen. Kurz vor Beginn des Bürgerkrieges in Syrien gründete er die Al-Nusra-Front, einen Ableger von Al Kaida. Das ist die Karriere eines lupenreinen Islamisten.

Zwar spricht Julani davon, westliche Staaten nicht angreifen und Minderheiten achten zu wollen. Seine Rhetorik klingt gemäßigter als jene der Steinzeit-Islamisten, die von Kalifaten schwadronieren. Aber ist seine Metamorphose wirklich glaubhaft? Denken wir an Afghanistan. Die Taliban haben bei ihrer Machtübernahme das Blaue vom Himmel versprochen – nichts davon ist eingetreten, weil man es in dieser Gegend der Welt eben doch nur selten mit überzeugten, gemäßigten Demokraten zu tun hat. Das Schicksal Syriens wird sich also erst weisen – und wie es aussieht, hängt viel davon ab, wie die internationale Staatengemeinschaft ihre Rolle wahrnimmt.

Julani ist beim Wiederaufbau Syriens auf internationale Gelder angewiesen. Sie sollten an Bedingungen geknüpft werden, deren Einhaltung regelmäßig überprüft wird. Es darf nicht wieder passieren, dass Islamistengruppen blind finanziert werden, nur weil sie geholfen haben, unliebsame Gegner wie Assad loszuwerden. Zumindest das sollte die Welt aus dem Arabischen Frühling und aus dem Fiasko in Afghanistan gelernt haben. (Westliche) Drittstaaten haben hier viel Chaos und Leid gestiftet. Apropos Drittstaaten: Es wird viel diplomatisches Geschick brauchen, um die Eigeninteressen gewisser syrischer Nachbarstaaten in den Griff zu bekommen, damit Syrien zur Ruhe kommen kann.

Migration, Asyl und Flucht sind hoch emotionale Themen – freilich ist es schwierig, die Emotionen etwas herauszunehmen. Aber genau das (und etwas Geduld) wäre das Gebot der Stunde, um dringend notwendige, gut durchdachte und ausbalancierte Lösungen aus dem Chaos zu finden – für Syrien und für Europa.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.