Krieg bringt keinen Frieden
Die Euphorie in Israel hielt nur kurz. Sechs Wochen lang dauerte der Waffenstillstand mit der Hamas – 33 Geiseln wurden in diesem Zeitraum gegen mehr als tausend palästinensische Häftlinge getauscht, darunter Terroristen und zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder. Jüdisches Leben ist dem Staat Israel viel wert. Das von Tal Shoham, jener österreichisch-israelischen Geisel, die beim letzten Austausch gerade noch frei kam – bedeutet seiner Familie alles. profil war in Tel Aviv und hörte die bewegende Geschichte, sah Menschen, die wieder und trotz allem lachen können. Und traf gebrochene Familienangehörige, die noch auf die Rückkehr ihrer Liebsten warten. Diese Hoffnung schwindet gerade dramatisch. Phase eins des Waffenstillstands ist abgeschlossen – und wie prophezeit (und befürchtet), hielt sich Israels Premier Benjamin Netanjahu nicht an die Waffenruhe, die Phase 2 des Deals vorsah. Er bombardiert Gaza wieder – mit freundlicher Unterstützung von US-Präsident Donald Trump.
Grund? Laut Netanjahu will man mit militärischem Druck die Geiseln freibekommen. Das ist verdrehte Wirklichkeit: Gaza wurde auch vorher monatelang bombardiert. Am Ende kamen fast alle Geiseln aber erst durch diplomatische Verhandlungen frei.
Was Netanjahu hier tut, ist zynisch und von Egoismus geleitet. Der Premier kann sich der Unterstützung bei der nächsten Wahl nicht sicher sein. Das zeigen stark schwankende Umfragen ebenso wie die erneuten, großen Proteste auf den Straßen der Städte. Niemand will in einem Kriegsland leben – das Volk leidet kollektiv mit den Angehörigen der Geiseln mit. Man will nur eines: Sie sollen heimkommen. Das hätte Phase zwei des Deals vorgesehen. Im Gegenzug hätte der Waffenstillstand ein dauerhafter werden sollen. Netanjahus ultrarechte Regierungspartner haben sich stets gegen den Deal ausgesprochen. Dass Netanjahu nun Phase zwei nicht einläuten will, sichert ihm seine Koalition – er will um jeden Preis bis zur nächsten Wahl 2026 an der Macht bleiben. Denn auf ihn wartet ein internationaler Haftbefehl ebenso wie ein Korruptionsprozess. Dass er deswegen weiter Menschenleben riskiert – und in Gaza durch Angriffe auch nimmt, ist unerträglich.
Erinnerungslücken
Israel hat aus guten Gründen einen Krieg gegen die Hamas begonnen – führt ihn aber nun auch recht offen gegen die Bevölkerung in Gaza. Verteidigungsminister Israel Katz wendete sich diese Woche mit einer Botschaft an die palästinensische Bevölkerung: „Lassen Sie die Geiseln frei und vertreiben Sie die Hamas. Dann eröffnen sich Ihnen andere Möglichkeiten, zum Beispiel, dass Sie in anderen Orten der Welt leben können.“ Vielleicht etwas viel verlangt von einer Bevölkerung, die von einer Terrororganisation regiert wird, die alle Aufständischen erschießt.
Die Hamas ihrerseits macht es Netanjahu leicht – sie hat die Verlängerung der Waffenruhe bis April abgelehnt und Donald Trump verärgert. Die USA haben erstmals direkt mit der Hamas um die Freilassung einer israelisch-amerikanischen Geisel verhandelt und sie nicht bekommen. Ebenso wurden nicht alle Verschleppten freigelassen, wie Trump das gefordert hatte. Würde die Hamas das tun, hätte sie aber auch kein Druckmittel mehr. Sie will und braucht den Krieg übrigens ebenso – das Feindbild Israel, der geschürte Hass bringen weitere Anhänger – die Rekrutierungsmaschine läuft.
Der internationale Aufschrei über die erneuten Bombardements in Gaza ist selbst unter den Freunden Israels groß – Deutschland rief ebenso zum Waffenstillstand auf wie Frankreich. Österreich? Bisher ist noch nichts zu hören. Die historische Schuld Österreichs brachte bisher eine recht uneingeschränkte Unterstützung mit sich. Tatsächlich haben wir eine besondere Verantwortung. Aber wem gegenüber genau?
Die Eigeninteressen von aktuell herrschenden Politikern sind es nicht. Es ist die Zivilbevölkerung und deren Wohlergehen, wofür wir uns einsetzen müssen. Freilich ist Sicherheit dabei zentral. Und ja, das bedeutet in dieser Gegen der Welt, sich gegen Terroristen zu wehren und zu schützen. Wie man das tut, dafür gibt es verschiedene Varianten – es ist jene zu wählen, die so viele zivile Menschenleben wie möglich schont. Denn das ist es am Ende: Auf beiden Seiten leben Menschen. Dass das der Hamas egal ist, ist absolut nichts Neues. Dass Benjamin Netanjahu, Führer eines demokratischen Landes, diese Tatsache nicht mehr in das Zentrum seines Handelns stellt, ist traurig. Wer sich als Freund Israels betrachtet, sollte ihn dringend daran erinnern.